Unweigerlich fragt man sich Ist hier tatsächlich die Rede von der kalten, distanzierten Mary Bennet?
Mit Miss Bennet entführt die Autorin Janice Hadlow auf 700 Seiten zurück ins England des 19. Jahrhunderts. Sprachlich einer Jane Austen keinesfalls unterlegen, erzählt Hadlow die Geschichte der Familie Bennet im ersten Teil des Buches erneut diesmal aus der Sicht von Mary. Es ist bemerkenswert, wie sehr dieser Perspektivwechsel die ganze Geschichte verändert. Herausragend ist auch, wie erste Sympathien zwischen der bisher so farblosen Mary und den Lesern des vorliegenden Buches geknüpft werden.
Bereits im zweiten Teil werden bekannte Pfade verlassen - zwei Jahre sind seit der Doppelhochzeit der Familie Bingley und Darcy vergangen. Und Mary - letztendlich gemeinsam mit ihrer Mutter aus Longbourn vertrieben - bezieht mit dieser gemeinsam Quartier bei den Bingleys. Spätestens in diesem Abschnitt neigt man dazu, Partei für Mary ergreifen zu wollen. Ihre Verzweiflung und Orientierungslosigkeit sind schwer zu ertragen. Vor allem, wenn man Mary bisher selbst so wenig Beachtung geschenkt hat.
Erst im dritten Abschnitt scheint das Leben leichter zu werden. In London erfährt Mary Bennet zum ersten Mal so etwas wie Respekt und familiäre Zugehörigkeit. Ein unerwartetes Geschenk aus Pemberley scheint ihr den Weg zu ebnen, der vor ihr liegt.
In Abschnitt vier lässt sich bereits erahnen, dass es tatsächlich Mary ist, die mutig ihrem Herzen Folge leistet, wie es der Einband des Buches zu versprechen sucht.
Im letzten, fünften Abschnitt der Geschichte schreibt sich Hadlow unwiderruflich in die Herzen ihrer Leserinnen und Leser. Mary Bennet, die Unsichtbare, die Ausgestoßene. Mary, vom Vater geduldet, bestenfalls respektiert, ihr Leben lang der Missbilligung ihrer eigenen Mutter ausgesetzt, Mary, so wenig beachtet von ihren Schwestern und Abermillionen Leserinnen und Lesern. Mary erfährt nun endlich, nach 200 Jahren, Gerechtigkeit. Sie nimmt ihren Platz im Leben ein. Umsorgt, geliebt und vor allem geachtet.
Wir identifizieren uns gerne mit starken Charakteren, mit den Helden der Geschichte. Janice Hadlow sagte in einem Interview mit C. P. Lesley: Ich glaube jedoch, viele von uns wissen, wie es ist, Mary Bennet zu sein unbeholfen, immer das Falsche sagend, unsicher über uns selbst und unsere Zukunft. Ich wollte ein Buch schreiben, in dem eine solche Frau das gleiche Recht hat, die Heldin zu sein. Und genau daraus erwächst eine uneingeschränkte Leseempfehlung für Miss Bennet. Die Helden einer Geschichte sind manchmal die, die man gar nicht wahrnimmt. Chapeau, Janice Hadlow. Diese Geschichte verdient weit mehr Beachtung, als ihr bisher zuteilwurde.