"Aschezeichen" heißt das neue Buch der dänischen Autorin Katrine Engberg. Es ist der zweite Band der Serie um die Ermittlerin Liv Jensen und nach dem eher schwachen ersten Teil "Glutspur" hat er mich positiv überrascht. Wieso das Buch "Aschezeichen" heißt, kann ich nicht nachvollziehen, eventuell nur die Verbindung zum Titel des Vorgängers, denn Asche und Glut gehören zusammen. Der zweite Teil des Titels "Die Wunden der Schuld" passt besser und auch der dänische Titel "De hvide nætter" (weiße Nächte) hat wenigstens ansatzweise etwas mit der Handlung zu tun.Aber von vorn.Vorsø ist eine 58 Hektar große, für die Öffentlichkeit gesperrte Insel im Horsens Fjord an der Ostseite Jütlands. Trotzdem fährt der iranisch-dänische Familienvater Tami Ansari mit seinen Kindern Cyrus (17) und Shirin (14) übers Wochenende zum Angeln dorthin. Am Sonntagmorgen findet Shirin ihren Vater mit durchgeschnittener Kehle in seinem Zelt. Ihr Bruder ist verschwunden. Hat der Täter ihn mitgenommen? Aus Angst, sie könnte auch in Gefahr sein, beschließt Shirin, sich zu verstecken. Privatermittlerin Liv Jensen bekommt von ihrem ehemaligen Mentor Petter Bohm den Auftrag, sich in dem Fall etwas umzuhören. Ihre erste Spur führt in dänische Auffanglager Sandholm (ehemals Sandholmlejren, jetzt Sandholm Center), dem vom Roten Kreuz unterhaltenen Lager, in dem Tami Ansari vor rund 30 Jahren gelebt hat. Und sie stößt schnell auf einen Bekannten: ihr Nachbar, der Automechaniker Nima Ansari ist ein Cousin des Toten. Sind dem alkoholkranken Tami seine mutmaßlichen Verbindungen ins kriminelle Milieu zum Verhängnis geworden? Oder ist der 17jährige Cyrus der Grund für den Mord? Und was hat der eigenbrötlerische Naturpfleger Lars Rørdam, der der Familie das Zelten auf der Insel erlaubt hat, mit allem zu tun?Nach einem eher schwachen Serienauftakt mit "Glutspur" hat mich "Aschezeichen" positiv überrascht. Zwar hat das Buch immer noch einige Längen, ein paar Dutzend Seiten könnte man sicher ohne Probleme streichen, aber insgesamt fand ich es spannend, flüssig zu lesen und unterhaltsam. Mit der Übersetzung stehe ich an ein paar Stellen auf Kriegsfuß, manches finde ich handwerklich etwas unsauber. Der Krimi ist solide, die psychologische Komponente sorgt für konstante unterschwellige Spannung. Die Geschichte ist geschickt konstruiert, einige falsche Fährten schickten mich beim Mitraten in die Irre. Schön und gelungen fand ich auch wieder die Ortsbeschreibungen, sowohl die von Vorsø als auch die von Kopenhagen. Die Geschichte wird aus drei Perspektiven erzählt, wobei jeweils einer der Protagonisten im Mittelpunkt steht. Diese sind aus dem ersten Teil bekannt, sie sind ein bisschen farblos beschrieben und weiterhin ausbaufähig. Der Strang Liv dreht sich um die Ermittlungen. Diese sind bodenständige Polizeiarbeit, auch wenn Liv nicht mehr als Polizistin arbeitet, beherrscht sie ihr Handwerk. Nima, Automechaniker, der hobbymäßig halluzinogene Pilze anbaut, ist das Bindeglied zur iranischen Gemeinschaft. Hanna Leon, die Psychologin, die bei Liv und Nima in der Nachbarschaft wohnt, ist ebenfalls wieder mit von der Partie. Ihre Rolle ist aber eher schwach und sie trägt weder zur Geschichte noch zur Lösung des Falls nennenswert bei. Als Leser dänischer Zeitungen ist mir das Auffanglager Sandholm ein Begriff, es als zentrales Element eines Krimis wiederzufinden, barg für mich einen speziellen Reiz. Das Lager und das Leben dort ist in Rückblicken ins Jahr 1990 in Einschüben beschrieben. Die Situation der jungen unbegleiteten Flüchtlinge (Tami war bei seiner Ankunft in Dänemark erst 15), ihre Gedanken, Träume und Hoffnungen fand ich gut dargestellt. Die Beeinflussbarkeit der jungen Menschen durch Ältere und der Einfluss von Geheimdiensten sind durchaus realistisch. Ich fand das Buch besser als den ersten Teil, aber es ist immer noch Luft nach oben. Von mir daher vier Sterne und ich bin gespannt auf den nächsten Band der Serie.