Die Gedanken aus dem vorliegenden Buch zur Selbstlüge haben mindestens zwei Quellen. Die erste ist eher theoretischer Natur: Inwiefern kann die Selbstlüge überhaupt logisch möglich sein? Die übliche Lüge setzt voraus, dass der Lügende die Wahrheit kennt oder zu kennen meint und den Belogenen darüber täuscht. Diese Struktur der Wissende belügt den Unwissenden bricht aber in sich zusammen, wenn Lügender und Belogener ein und derselbe sind. Wie kann es rein theoretisch das Phänomen der Selbstlüge geben?
Die zweite Quelle ist die existenzielle Erfahrung der Selbstlüge und Konfrontation mit der Selbstlüge. Zum einen verweist die theoretische Frage relativ schnell auf die existenzielle Dimension: Wenn die Selbstlüge nämlich logisch in der Tat inkohärent ist, stellt sich die Frage, wie ein Mensch in der Welt ist, der dieses Projekt, welches die Regeln der Logik übersteigen will, anvisiert. Zum anderen betrifft einen die Selbstlüge eben nicht bloß als logisches Rätsel. Man kann in der rätselhaften Präsenz einer Person stehen, die sich selbst belügt, und man kann die eigene Versuchung der Selbstlüge vernehmen. Diese Versuchung scheint alles andere als harmlos. Wenn es wahr ist, dass in jeder sprachlichen Äußerung eine implizite performative Dimension vorhanden ist, ein implizites Versprechen, die Wahrheit oder wenigstens das, was man für die Wahrheit hält, zu sagen, dann ist die Selbstlüge ein Angriff auf das sprachliche Band überhaupt. Das Rätsel der Selbstlüge zeigt sich dann als Rätsel der Violation des sprachlichen Bandes. Wie kann so etwas existentiell möglich sein, sich in dieser Weise gegen das Versprechen zu richten, das einen als sprechendes Wesen ermöglicht?