Im Juni 2019 wird der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke in seinem Zuhause von einem Neonazi erschossen. Nur wenige Wochen später gedenkt der bayerische Landtag dem Ermordeten. Während die Landtagspräsidentin ihn mit einer Ansprache würdigt, stehen alle Abgeordneten als Zeichen der Ehre und Trauer auf. Alle? Nein. Der AfD-Abgeordnete Ralph Müller bleibt sitzen, blättert dabei betont lässig in Unterlagen. Erst nach dem Ende des Totengedenkens steht er auf. Provokation pur. Ein Eingreifen gab es nicht, nur Fassungslosigkeit.
Die Landtagspräsidentin spricht später davon, dass sie mit einem solchen Verhalten niemals gerechnet habe. "Was sie damit eigentlich sagte: Dass sie sich gegenüber diesem Agent Provocateur einfach hilflos gefühlt hatte", sagt Unternehmensberater und Trainer Peter Modler. "Von da bis zur demokratischen Feigheit ist es ein kleiner Schritt." Die Aufgabe der Landtagspräsidentin war die Moderation dieses Aktes, damit waren auch Pflichten verbunden, findet Modler. "Sie war es, die den Kommunikationsstandard in diesem Parlament sicherzustellen hatte, und wenn ihn jemand verletzte, offenbar auch noch absichtlich, dann hätte sie eingreifen müssen."
Mehr als nett lächeln und abhaken
In seinem Ratgeber "Wenn Höflichkeit reinhaut" ist er der Aufgabe und dem enormen Potenzial der Moderationskunst auf der Spur. Dieser politische Affront war für den Autoren der Weckruf. Seither entdeckt er immer wieder und an den verschiedensten Orten Versäumnisse in der Moderationsarbeit und ein falsches Verständnis der Aufgabe von Moderierenden. Es geht eben über bloßes Anmoderieren und Fragenstellen hinaus. Anlass genug, um ein Buch darüber zu schreiben. Darin zeigt er an solchen öffentlichkeitswirksamen Moderationsjobs, wie wichtig die Funktion einer Moderation ist.
Denn sei es bei Markus Lanz, der abends Politiker, Impfgegner, Skandalrapper oder andere Personen der Öffentlichkeit zu einem Gespräch begrüßt und diese sich dort danebenbenehmen, oder sei es im Bundestag, wo Politiker offenbar die ethischen Grundwerte einer Republik verletzen: Letztendlich sind es die Moderierenden, die auch dafür verantwortlich sind, einen sicheren Raum zu schaffen, in dem die Freiheit der Meinung und auch ein gewisses Maß an Anstand und respektablem Umgang gewährleistet werden. Sie sind die Gatekeeper für konstruktive und zielführende Gespräche.
Spannende Meetings durch lebendige Moderation
"Sie leisten im besten Fall einen zivilisatorischen Dienst, weil sie einen Raum für produktive Auseinandersetzung zur Verfügung stellen", erklärt Modler, und dieser reiche bis hinein in "die Graswurzeln unserer Gesellschaft, bis zu Vereinsversammlungen, zu Elternabenden, zu Bürgerinitiativen; aber auch bis in Vorstände und Regierungsspitzen".
Und gerade in Unternehmen ist die Moderation oft geächtet, verachtet und verkannt. "In vielen Organisationen gehören sie zum Langweiligsten und Ödesten, was man sich antun kann", weiß der Unternehmensberater. "Endloses Herumgerede über Nebenthemen, sprunghaftes Diskussionsverhalten, dauerndes Unterbrechen oder Unterbrochen-Werden, langatmige Monologe von immer denselben Leuten - die Liste ließe sich beliebig fortführen. Dabei muss Moderation auch mal bedeuten, Kante zu zeigen, an den richtigen Stellen einzugreifen und gar unhöflich zu werden.
Dieses Schleifen und Formen ist die Voraussetzung für fruchtbare, lebendige und ergebnisreiche Meetings und Diskussionen, in denen eben nicht immer der Gleiche seine Rede hält, der Kollege unhinterfragt Behauptungen in den Raum stellen kann und die Moderation der Vorgesetzten überlassen wird, die eigentlich schnell zum Mittagessen will. Wenn Moderierende zu wahren Gatekeepern werden, die die Fäden in der Hand halten, kann diese Aufgabe eine wichtige Rolle in der Bewahrung unserer demokratischen Grundwerte spielen - im Großen wie im Kleinen, in der Politik wie auch in jedem Unternehmen.
Roter-Reiter-Fazit
In seinem Ratgeber zeigt Peter Modler, mit welchen Gesprächsstrategien, taktischen Überlegungen und letztendlich standhaften Persönlichkeiten eine Moderation den Diskussionsraum schafft, ihn gestaltet und auch schützt.