Besprechung vom 09.01.2024
Ein gewagter Bogen zum Rechtspopulismus
Wie ein Architekturtheoretiker in der Altstadt und in der Paulskirche restaurative Tendenzen sucht
Wenn die neue Frankfurter Altstadt aus einer politisch linken Perspektive kritisiert wird, geht es meist nicht um das Ergebnis, wie es heute zwischen Dom und Römerberg zu besichtigen ist. Vielmehr arbeiten sich die Kritiker an den Motiven für die Rekonstruktion des kleinen Stadtquartiers ab. Der Stuttgarter Architekturtheoretiker Stephan Trüby hat die Altstadt vor einigen Jahren sogar als Produkt von Ideen aus dem völkischen Milieu dargestellt. So weit geht der in Frankfurt geborene Philipp Oswalt nicht. Der in Kassel lehrende Architekturprofessor hält die Frankfurter Altstadt nicht für eine "Erfindung von Rechtsradikalen", wie er in seinem kürzlich erschienenen Band "Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik" (Verlag Berenberg, 238 Seiten, 22 Euro) betont.
Aber auch Oswalt bringt das Dom-Römer-Quartier mit dem Rechtspopulismus in Verbindung, indem er vor dem Hintergrund der hohen handwerklichen Qualität von "Manufactum-Architektur" spricht. Er spannt den Bogen zum längst aus dem Unternehmen ausgeschiedenen Gründer des für seine exklusiven Artikel bekannten Einzelhändlers Manufactum, der heute rechtspopulistische Bücher verlegt.
Das hat mit der Frankfurter Altstadt nichts zu tun. Oswalt braucht aber diesen Bezug, weil er sonst wenige Belege für seine These hat, wonach die in Frankfurt realisierten Rekonstruktionen untergegangener Gebäude ein Zeichen sei für restaurative gesellschaftliche Tendenzen. Einige seiner Argumente deuten sogar in einer andere Richtung: So lässt er die häufig gelobte Vielfalt und Kleinteiligkeit des Quartiers nicht als vorbildhaft und innovativ gelten, weil diese städtebaulichen Prinzipien schon in den Sechzigerjahren propagiert worden seien. Einen Bezug auf diese damals als fortschrittlich geltenden Idee dürfte man kaum als restaurativ bezeichnen können.
Unredlich wird es, wenn Oswalt den Architekten der Altstadthäuser vorwirft, sie würden an anderer Stelle "in großer Zahl den üblichen Investorenwohnungsbau" betreiben, zu dem die Altstadt ein positives Gegenbeispiel sein sollte. Der Autor verschweigt, dass Architekten ja nicht selbst die Rahmenbedingungen setzen, die ein Bebauungsplan und ein Investor vorgeben. Dass die Rahmenbedingungen beim - etwa zur gleichen Zeit wie die Altstadt geplanten - Europaviertel zu keinem guten Ergebnis geführt haben, kritisiert Oswalt zu Recht. Nicht belegen kann er, dass dies damit zu tun habe, dass sich das politische Interesse auf die angeblich rückwärtsgewandte Altstadt konzentriert habe.
Auch im Kapitel zur Sanierung der Paulskirche tut sich Oswalt schwer, eine restaurative Geisteshaltung nachzuweisen. Zwar zeichnet er zutreffend nach, wie der Wunsch nach einer Rekonstruktion des Zustands von 1848 diskutiert wurde. Es wird aber auch deutlich, dass dies mehr mit dem Unverständnis der Wiederaufbauarchitektur von 1948 zu tun hatte als mit der Nähe zu AfD-Positionen. Vor allem ist die Rekonstruktionsidee immer eine Minderheitsmeinung geblieben.
Im Buch behandelt Oswalt noch andere Beispiele aus ganz Deutschland. Die Frankfurter Projekte sind jedenfalls kein Beleg für die These, dass die Zeiten vor 1918 "populistisch idealisiert" werden. GÜNTER MURR
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