Identitätspolitik, Cancel Culture und Wokeness - was an den Universitäten begann, beeinflusst mittlerweile breite Teile der Gesellschaft. Angetreten, um gegen Rassismus und Diskriminierung zu kämpfen und sich für Demokratie und Zusammenhalt einzusetzen, bewirkt eine woke Linke das genaue Gegenteil. Mit Sprachregelungen oder der Tabuisierung gesellschaftlicher Missstände verhindert sie eine offene demokratische Auseinandersetzung. Susanne Schröter, oft genug selbst Ziel woker Angriffe, analysiert die Ideologie der woken Linken und beschreibt, wie diese versucht, in zentralen Bereichen der Gesellschaft die Deutungshoheit zu erobern. Ein unverzichtbares Buch für jeden, der sich für die aktuellen gesellschaftlichen Debatten und Entwicklungen interessiert. Und eine kritische Analyse, die zur Reflexion über die Zukunft unserer Gesellschaft anregt.
Besprechung vom 04.09.2024
Beim Kulturkampf wird nicht gefackelt
Zu harten Bandagen entschlossen: Susanne Schröter knöpft sich linke Wokeness vor.
Susanne Schröter hat in ihrem Buch durchaus Punkte. Etwa wenn sie von der antisemitischen Querfront von Linken und Islamisten schreibt. (War ja auf den Palästina-Demonstrationen der letzten Monate auch nicht zu übersehen.) Wenn sie davon berichtet, was einem bisweilen aus vermeintlich progressiven Kreisen entgegenschlägt, wenn man es wagt, über Islamismus zu sprechen. (Bitte, einfach mal einen Selbstversuch starten.) Oder mit der Feststellung, dass, bezeichnet man alles und jeden gleich als rassistisch und rechtsradikal, die Grenzen zu wirklichen Rassisten und Rechtsradikalen verschwimmen. (Liegt auf der Hand.)
Nur dass es halt wirklich Rassisten und Rechtsradikale gibt. Davon aber liest man in "Der neue Kulturkampf: Wie eine woke Linke Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft bedroht" wenig. Ja, bisweilen liest es sich sogar so, als gebe es sie überhaupt nicht. Von Studien ist die Rede, die großen Teilen der Bevölkerung demokratiegefährdendes und rechtes Gedankengut attestieren, um damit die stattlichen Fördersummen für NGOs zu rechtfertigen (Kapitel "Die Anti-Rassismus-Industrie"). Den rassistischen und rechtsradikalen Terror in Solingen, Mölln, Rostock-Lichtenhagen Anfang der Neunzigerjahre interpretiert Schröter als Antwort auf das Versäumnis, "kulturelle Dissonanzen durch Integrationsmaßnahmen zu minimieren" und in "erwartetem Maß" Rückführungen zu veranlassen. Mit anderen Worten: Nicht etwa aus rassistischen Motiven, nicht wegen ihrer rechtsextremen Ideologie hätten Neonazis Mordanschläge verübt, sondern weil zu wenig integriert und abgeschoben wurde. Eine schräge Interpretation und im Grunde Täter-Opfer-Umkehr.
Bezeichnend ist auch, dass Schröter von Rückführung spricht anstatt von Abschiebung, so wie sie das ganze Buch über von Migration spricht und nicht von Migration und Flucht. An einer Stelle schreibt sie sogar, "der ursprüngliche Terminus Asylbewerber wurde durch Flüchtlinge und dann Geflüchtete ersetzt, um Assoziationen von Zwang und Unfreiwilligkeit auszulösen". Nur dass der Begriff "Flüchtling" halt schon im siebzehnten Jahrhundert aufgekommen ist und dass es halt wirklich Menschen gibt, die fliehen müssen, zum Beispiel vor Assads und Putins Bomben, vor islamistischem Terror, vor politischer Verfolgung.
Nun könnte man einwenden, es ist eben kein Buch über Rassisten und Rechtsradikale. Sein Gegenstand ist das "woke Spektrum", die "Woke Ideologie". Aber was es damit wirklich auf sich hat, daraus wird man auch nach 250 Seiten nicht schlau. Die "Woken" erscheinen als homogener Block, zwar werden einige Richtungen skizziert "intersektional", "postkolonial", "queerfeministisch", doch wer sie denn nun sind und dass es unter ihnen auch Differenzen gibt, diese Ausführungen bleibt Schröter schuldig. Da hätte man - schließlich ist Schröter ja eine gestandene Ethnologin - mehr erwartet.
Viel zu viel wird in einen Topf geworfen, miteinander vermengt. Beispielsweise im Abschnitt "Allianz zwischen Islamisten und Linken" die Amadeu Antonio Stiftung und die CLAIM-Allianz. Während erstere seit Jahren zu Antisemitismus und Islamismus arbeitet, ist im Delegiertenkreis der zweiten auch eine Organisation, die der Muslimbruderschaft zugerechnet wird. Aber dieser Unterschied wird nicht herausgearbeitet. Insgesamt wird nicht viel differenziert. Im Grunde macht Susanne Schröter genau das, was sie ihren erklärten Gegnern, den Woken, vorwirft.
Ein weiteres Beispiel: Den Historiker Egon Flaig zeichnet Schröter als "streitbaren Intellektuellen". Es gebe keinen Anlass, ihn als "umstrittenen Rechten" anzusehen. Flaigs Polemiken zum Historikerstreit, zur Singularität der Schoa, die man auch als Holocaust-Relativierung verstehen kann, lässt sie unter den Tisch fallen. Ebenso, dass Flaig schon mal auf Einladung der AfD im Bundestagsausschuss für Kultur und Medien zum Thema "Pädagogische Konzepte und neue Vermittlungsformen bei der NS-Aufarbeitung" darüber referierte, dass man sich als Nation nicht ausschließlich auf negative Ereignisse in der Geschichte konzentrieren sollte. Und auch, dass er 2018 neben Uwe Tellkamp und Eva Hermann eine Erklärung gegen Masseneinwanderung erstunterzeichnete. Natürlich kann man, wie Schröter, kritisieren, dass Flaig voriges Jahr von der Universität Erlangen - er sollte dort einen Vortrag halten - ausgeladen wurde. Doch Aussparungen dieser Art sind das Gegenteil des aufgeklärten Diskurses, den Schröter so sehr propagiert. Und Meinungsfreiheit bedeutet nicht Widerspruchsfreiheit.
Auch im alarmistischen Ton pirscht sich Schröter erstaunlich nah an das heran, was sie so sehr beklagt. Befremdlich wirkt, wenn sie dieselben sprachlichen Register zieht, mit denen sie erst die Machenschaften der "woken" Aktivisten an den Universitäten und ein paar Seiten später die Taten der IS-Terroristen beschreibt. Ein wenig Nuancierung und Witz - schließlich bietet der Gegenstand doch eine Menge komisches Potential - hätten dem Buch sicher gutgetan. Empörung allein ersetzt keine Analyse. Und die vermisst man schon sehr in den Aneinanderreihungen der wohlbekannten Ungeheuerlichkeiten, die Schröter dem woken Spektrum attestiert, von den Gendersternchen, der "Sprachpolizei", dem "Trans-Chic" und dem Öffentlich-Rechtlichen, der bei dem ganzen Woke-Wahnsinn vorn mit dabei sei.
Nun könnte man das Buch als Kampfschrift, als Pamphlet bezeichnen. Schröter will nicht aufklären, sie will auch nicht versöhnen oder vermitteln. Sie ist wütend. Das ist ihr gutes Recht, und wenn man von den Diffamierungen liest, denen sie ausgesetzt ist, ist es auch verständlich, doch es macht noch kein gutes Buch. Am Ende hätte man doch gern etwas erfahren, was man noch nicht wusste, oder zumindest etwas gelacht.
Und man fragt sich auch, warum diejenigen, die Schröter vermutlich dem "woken Spektrum" zuordnen würde, und die - mögen es auch nicht viele sein - Kritik am Islamismus, Antisemitismus, an den identitätspolitischen Exzessen üben, so geflissentlich übergangen werden. Vielleicht weil das Feindbild anders nicht zu halten wäre. Und weil die Argumentation des Buches zumindest in Teilen hinfällig geworden wäre. Schade, denn ohne diese Aussparung hätte es womöglich den Charakter der Kampfschrift verloren, dafür aber den einer Kritik gewonnen. So wird Kulturkampf mit Kulturkampf bekämpft. RONYA OTHMANN
Susanne Schröter: "Der neue Kulturkampf". Wie eine woke Linke Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft bedroht.
Herder Verlag, Freiburg 2024. 272 S., br.
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