Besprechung vom 23.08.2021
Wenn der CEO gefährlich wird
Lehren aus dem Niedergang von General Electric
Über viele Jahre hinweg galt der amerikanische Konzern General Electric (GE) als größte Ikone der amerikanischen Wirtschaft. GE schien unerreichbar zu sein für den ewigen Zweiten Siemens und wurde in Fachkreisen als Kaderschmiede für die besten Manager der Welt angesehen, die den Schlüssel zur kontinuierlichen Steigerung des Shareholder-Values in der Hand hielten. Doch von dem Ruhm ist nicht viel geblieben.
Zwei Bücher sind dazu erschienen, die man am besten im Doppelpack liest. Zum einen die Schrift der beiden Wall-Street-Journal-Autoren Thomas Gryta und Ted Mann, zum anderen ein Buch von Jeff Immelt, der 16 Jahre lang nach Jack Welch an der Spitze von GE stand. Beide Bücher beschreiben, analysieren und bewerten den Niedergang des Konzerns, der fast im Ruin geendet wäre. Die Schrift von Gryta/Mann ist eine messerscharfe Abrechnung vor allem mit Jeff Immelt. Ihm und seiner willfährigen Entourage werfen die Journalisten Hochmut und Selbsttäuschung vor. Jeff Immelt arbeitet in seiner schlicht aufgemachten, erstaunlich selbstkritischen Biographie heraus, welche Lehren er im Rückblick auf seine Zeit an der Spitze zieht und weitergeben möchte. Man kann seine Schrift auch als Replik auf die harsche Kritik, die auf ihn hereinprasselte, betrachten. Er benennt offen seine Fehler und steht zu diesen, versäumt es aber nicht, auch auf die Mitverantwortung seiner Entourage zu verweisen.
Alle drei Autoren sind sich in der grundlegenden Analyse von GE einig: Der Wall-Street-Liebling war bei nüchterner Betrachtung schon am Ende der Welch-Ära mehr Schein als Sein. Nur hatte dies niemand bemerkt. Dies galt auch für den neuen CEO Jeff Immelt, der bei seinem Amtsantritt 2001 glaubte, endlich auf dem Olymp angekommen zu sein, und dann über Jahre hinweg den schmerzlichen Abstieg bis zu seinem Rauswurf 2017 erleiden musste. Schon mit den 9/11-Terroranschlägen wurde deutlich, dass das GE-Geschäftsmodell keineswegs so wetterfest war, wie es in der langen Schönwetterphase in den Jahren zuvor glauben machte.
Jack Welch - ob seines beinharten Zupackens auch als "Neutronen-Jack" betitelt - hatte in den zwei Jahrzehnten seiner Regentschaft durch unzählige Übernahmen ein intransparentes Konglomerat aufgebaut, das er mit eiserner Hand führte. Seine Devise hieß: Aktienkurs steigern! Unter keinen Umständen durften daher die Erwartungen der Analysten enttäuscht werden. In einem intransparenten Konglomerat war dementsprechend die Versuchung groß, im - wie Gryta und Mann herausgefunden haben - quartalsweisen Performance-Theater den präsentierten Gewinnen bilanztechnisch hart an der Grenze des Zulässigen etwas nachzuhelfen.
Die beiden Bücher arbeiten anschaulich heraus, dass die Finanzsparte GE Capital, deren Ende im März 2021 besiegelt wurde (F.A.Z. vom 11. März 2021), über Jahre hinweg der unverzichtbare Erfolgstreiber des Konzerns war. GE Capital war die Gewinn- und Finanzierungsmaschine für die Gruppe, die in guten Jahren mehr als 50 Prozent zum Gewinn beitrug. Die Sparte, die mit dem Kerngeschäft von GE nichts gemein hatte, war massiv ausgebaut worden, sodass man GE schon als Bank mit angehängter Produktion bezeichnen konnte. Unisono betonen Gryta/Mann sowie Immelt, dass es GE mit seinem Triple-A-Rating in den Jahren vor der Finanzkrise möglich war, sich über GE Capital wesentlich günstiger zu refinanzieren und im Geschäft mit Leasingkunden hervorragende Zinsüberschüsse zu erwirtschaften. So kam es, dass im Konzern Geld für Akquisitionen stets überreich vorhanden war. GE-intern führte dies nicht zuletzt dazu, dass die Manager bei ihren Entscheidungen die Kapitalkosten nicht gebührend berücksichtigten - ein unverzeihlicher Governance-Defekt. Die Finanzkrise drehte GE Capital den Geldhahn zu und machte die Sparte zum Mühlstein.
GE musste völlig neu aufgestellt werden: zurück zu seinen industriellen Wurzeln, mehr Technologie und eine andere Unternehmenskultur. GE hatte dabei erhebliche Altlasten im Gepäck. Jeff Immelt machte sich an die Herkulesarbeit, durch Verkäufe von Sparten, aber auch durch Zukäufe. Vieles davon erwies sich als Sisyphusarbeit, und es gab handfeste Flops bei Akquisitionen, und darüber hinaus fanden zu viele und teure Rückkäufe der eigenen Aktien statt. Die (Fehl-)Entscheidungen werden in beiden Schriften detailliert dargelegt, allerdings von Gryta und Mann schärfer und kritischer bewertet als von Immelt. Das Vertrauen in Immelts Transformationskünste war 2017 erschöpft. Ihm folgte der glücklose John Flannery für knapp ein Jahr, dann kam Larry Culp von außen. Unter ihm scheint GE wieder Tritt zu fassen: Die Lichter leuchten schwächer, sind aber nicht ausgegangen.
Die beiden im amerikanischen Management-Jargon geschriebenen Bücher sind sehr spannend und lohnen sich für Manager, Berater, aber auch MBA-Studenten, die besonders aus Immelts Schrift unmittelbar verwertbare Erkenntnisse darüber ableiten können, was man in komplexen Transformationsprozessen tun sollte und besonders, was nicht. Über die richtigen Schritte könnte man sich im Übrigen auch manches beim GE-Rivalen Siemens abschauen, der die Transformation wesentlich besser gemeistert hat. ROBERT FIETEN.
Thomas Gryta, Ted Mann: Lights out. Pride, Delusion, and the Fall of General Electric.Houghton Mifflin Harcourt, Boston, New York 2020, 354 Seiten, 30 Euro.
Jeff Immelt mit Amy Wallace: Hot Seat. What I Learned Leading a Great American Company. Avid Reader Press, New York 2021, 341 Seiten
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