Medizin ist nicht neutral. Sie wird von Menschen gemacht, und Menschen haben Vorurteile, Vorannahmen und sind geprägt durch Vorbilder und Traditionen - im Guten wie im Schlechten.
So beginnt Dr. med. Werner Bartens sein neustes Buch Gesundheitsrisiko weiblich und wenn er mich nicht schon direkt beim Titel gehabt hätte, wäre ich wohl spätestens nach dem ersten Satz ganz Ohr gewesen.
Der Autor hat in seinem Leben viele Erfahrungen gesammelt. So arbeitete er in verschiedenen Krankenhäusern auf der ganzen Welt und ein Problem wird überall sehr deutlich: Die obersten Positionen werden in der Regel mit Männern besetzt. Der Aufstieg für Frauen ist unheimlich schwierig.
Aber natürlich ist das Unsichtbar machen von Frauen nicht nur für Ärzt*innen ein großes Problem. Auch sonst wird zu selten auf Frauen geachtet. In Studien finden wir immer noch zu wenig Platz und eine getrennte Auswertung der Ergebnisse gibt es zu selten. Was für Auswirkungen das hat, wird in Gesundheitsrisiko weiblich aufgearbeitet und damn, its scary!
Tatsächlich haben Männer eine niedrigere Lebenserwartung, als Frauen. Während das bei Männern aber eher durch das eigene Verhalten geprägt ist, passieren bei Frauen ganz andere Fehler, auf die wir keinen Einfluss haben. Besonders männliche Ärzte neigen dazu, Frauen nicht ernst zunehmen. Wir gelten als wehleidiger und zu emotional, würden uns zu sehr in Dinge hineinsteigern und so bleiben Krankheiten unentdeckt. Besonders im Alter wird das noch auffälliger. Alte Frauen gehen noch mehr unter, obwohl Frauen zum Beispiel häufiger und früher von Alzheimer betroffen sind.
Dr. med. Werner Bartens bietet in seinem Werk einige Beispiele von Frauen, die trotz deutlicher Worte nicht ernst genommen wurden. Noch immer denken Ärzte und auch Ärztinnen, dass sie unsere Körper besser kennen als wir und verweigern teilweise dringend notwendige Behandlungen, weil sie uns einfach nicht glauben. Ich wusste viele dieser Dinge schon, aber war trotzdem oft erschüttert und ohne meine Frustschokolade wäre das Buch wohl einige Male gegen die Wand geflogen, auch wenn das Buch natürlich gar nichts für die Umstände kann.
Obwohl das Buch gar nicht so lang ist, wird hier einiges behandelt. Viele Erkrankungen werden erwähnt, auch psychische. Hier wird auch immer wieder auf die unterschiedlichen Symptome eingegangen, wodurch Krankheiten bei Frauen häufig zu spät erkannt werden. Stellenweise hätte ich mir mehr Tiefe gewünscht, aber für den Einstieg in das Thema, ist das Buch wirklich perfekt. Außerdem wird darauf eingegangen, wie unterschiedlich Männer und Frauen über die eigenen Beschwerden sprechen und wie unterschiedlich Ärzte und Ärztinnen darauf reagieren. Ich glaube, hiervon können einige Menschen profitieren, denn leider braucht es manchmal das richtige Auftreten, um ernst genommen zu werden. (Machmal können wir uns aber auch auf den Kopf stellen, zugehört wird trotzdem nicht immer.)
Zu Beginn geht der Autor noch mal auf das Thema Geschlecht ein. Hier differenziert er zwischen Gender und Sex und erkennt an, dass einige Dinge biologische und andere soziale Ursachen haben. Leider bewegt er sich hier komplett im binären Geschlechtersystem und erwähnt andere Geschlechter mit keinem Wort.
Natürlich kann ich hier nicht auf alles eingehen, auch wenn ich wahrscheinlich noch Stunden über das Thema quatschen könnte. Insgesamt hat mir das Buch gut gefallen und ich habe einiges gelernt, was mir wirklich weiterhilft. Gerade, wenn ihr euch mit dem Thema noch nicht auseinandergesetzt habt, kann ich es euch nur empfehlen.