Neuland


Exklusiv-Interview mit Ildikó von Kürthy

Champagner am Strand, ein paar letzte Zigaretten vor dem Silvester-Feuerwerk und gemischte Gefühle angesichts ihres großen Plans: So startete Ildikó von Kürthy in das neue Jahr, in dem sie sich auf die Suche nach einem besseren Leben machte. Auf ihrer Agenda standen jede Menge Selbstversuche, z.B. ein Rhetorik-Kurs trotz Lampenfieber und Traumfigur-Training bis zum Idealgewicht. Wie es geklappt hat? Davon erzählt Ildikó von Kürthy ungeschminkt und sehr unterhaltsam in Neuland. Das ideale Buch für alle, die Sehnsucht haben, aber nicht so genau wissen, nach was.


Kompliment zu Ihrem glamourösen Auftritt bei der Gala zum "Deutschen Filmpreis"! Ihr Hellblond war der absolute Hingucker, Ihre maßgeschneiderte Robe auch. Wie haben Sie sich auf dem roten Teppich gefühlt?
Ich war mir selbst völlig fremd. Ich kam mir vor, wie verkleidet - bloß, dass niemand gemerkt hat, dass ich ein Kostüm trug. Sehr seltsam. Und über die Komplimente, mit denen ich überhäuft wurde, und die eindeutig zweideutigen Blicke von Männern, die mich als robuste Brünette komplett übersehen hätten, habe ich mich nicht gefreut. Die galten ja nicht mir, sondern einer von einem Schönheitschirurgen und einem Frisör geschaffenen Person.

Was steckte eigentlich hinter Ihrer Komplett-Verwandlung?
Wie jede mir bekannte Frau hatte ich pünktlich zum letzten Jahreswechsel das Gefühl, dass mein Leben auf keinen Fall so weitergehen könne wie bisher. Auswandern, Mann verlassen oder eine neue Frisur? Irgendetwas musste geschehen. Ich entschied mich für Letzteres und widmete das ganze Jahr der Selbstoptimierung. Ich lernte zu meditieren, besuchte ein Schweigekloster und ein Sterbehospiz. Ich brachte Ordnung in mein Leben und in meinen Kleiderschrank und verwandelte mein Äußeres - streng nach Klischee - in eine faltenfreie, schlanke Super-Blondine. Das waren Erfahrungen fürs Leben - die ich natürlich auf keinen Fall für mich behalten wollte. So entstand "Neuland".

Ihrer Erfahrung nach endet für die allermeisten Frauen jenseits der 40 die Komfortzone. Aber was dann? Unvermeidlich die Landung im Krisengebiet?
Ja. Das ist unvermeidlich. Und es ist großartig. Das chinesische Schriftzeichen für Krise besteht aus zwei Zeichen: Das erste bedeutet Gefahr, das zweite Chance. Das sollten wir bei aller Krisenstimmung nicht vergessen. Nur wer unzufrieden ist, ist auch bereit, sich zu verändern und dem letzten Drittel des Lebens vielleicht doch noch etliches Unvergessliche abzutrotzen. Ich liebe unzufriedene Menschen - vorausgesetzt, sie meckern nicht tatenlos rum, sondern lassen sich was einfallen.

Ihr Selbstversuch war ein ganzer Parcours. Worum ging es Ihnen bei der Auswahl der einzelnen Projekte?
Ich wollte das Abenteuer vor der Haustür suchen und nicht in Indien oder beim Stratosphärensprung. Ich habe versucht, mich sowohl innerlich als auch äußerlich zu verändern und an mir herumzuexperimentieren. Ich bin einfach meinen Sehnsüchten und meinen Träumen und auch, natürlich, meinen Ängsten gefolgt ¿ und die sind allesamt sehr normal, erfüllbar und nachvollziehbar. Ich muss nicht ohne Sauerstoff den Mount Everest bezwingen, um mich lebendig zu fühlen. Mir reicht ein Rhetorik-Seminar an der Volkshochschule..

Mit welchen Zielsetzungen sind Sie an den Start gegangen?
Ich wollte wissen, ob ich anders sein kann, als ich immer dachte. Ich wollte Vorurteile überprüfen, Neues ausprobieren und alte Träume ausgraben und verwirklichen. Ich wollte mich selbst überraschen. Das ist gelungen.

Wie kam Ihre Familie mit der sich verwandelnden Ildikó von Kürthy klar?
Schlecht! Mein älterer Sohn sah mich in Blond und sagte: "Papa, kannst du mir eine neue Mama kaufen?!" Man darf nicht vergessen, dass Selbstverwirklichung oftmals ein ziemlich egoistisches Vergnügen ist. Meinem Mann kann ich es nicht hoch genug anrechnen, dass er mich während des letzten Jahres nicht wegen einer wohlgenährten, fröhlichen Frau verlassen hat, die sich nicht ständig um sich selbst dreht und vom Kohlehydrat-Mangel gezeichnet ist..

Welcher Neuland-Erkundung verdanken Sie die bewegendsten Erfahrungen?
Im Grunde hat mich das am meisten bewegt, woran ich gescheitert bin. Das Schweigekloster, aus dem ich panisch abgereist bin. Das Sterbehospiz, das mich überhaupt nicht mit dem Tod versöhnt hat. Die Nacht in der Wildnis, als ich feststellen musste, dass die freie Natur und ich ein gestörtes Verhältnis zueinander haben. Und natürlich meine Verwandlung zur Blondine. Nach sechs Wochen und 5.000 in meine Schönheit investierten Euro musste ich mir eingestehen: Nur weil ich schöner bin, fühle ich mich nicht besser. Das war der Tod der Blondine.

In "Neuland" kommen sie immer wieder auf Bücher zu sprechen. Welche liegen Ihnen besonders am Herzen?
Bücher sind Lebensbegleiter. Ich habe einige in meinem Regal stehen, die lagen bereits auf dem Nachttisch meiner Mutter. Friedrich Torbergs "Die Tante Jolesch" zum Beispiel. Ich liebe es, meinen Kindern aus "Kalle Wirsch" vorzulesen - aus jenem leicht angegilbten Exemplar, das so riecht, wie alte Bücher riechen, und aus dem mir meine Mutter auch schon vorgelesen hat. Ich lese wahlweise um der Welt zu entfliehen oder mich mit ihr auseinander zu setzen

Was hat Sie bei Ihren Selbstversuchen überrascht?
Ich hatte es geahnt, aber es war dennoch erschreckend festzustellen, wie sehr ich - und viele andere auch - in Denkmustern feststecke: wie ein Muli im Morast. Im Kopf was anderes zuzulassen, neue Hirnwindungen zu erkunden, ungenutzte Synapsen frei zu schalten - das ist so schwer! Mir hilft ein Satz, der im Fenster der ''Modern Life School'' in Hamburg hängt: "Glaub nicht alles, was Du denkst!"

Sie machen bewusst, dass ein überquellender Terminkalender keineswegs ein erfülltes Leben garantiert - eher im Gegenteil. Ihr Erste-Hilfe-Tipp?
Gnadenlos ausmisten. Ich frage mich jeden Tag: Was ist nötig? Worauf kommt es an? Was ist mir wichtig?

Wie war Ihre Bilanz am Jahresende?
Gelohnt hat sich alles! Was es wirklich gebracht hat? Das kann ich wahrheitsgetreu wohl erst in einem Jahr beantworten. Ich habe ein radikales Jahr hinter mir. Und radikal zu sein, ist immer einfach. Jetzt geht es darum, eine alltagstaugliche Lösung zu finden, in die ich die vielen Anregungen und Erfahrungen, die ich gesammelt habe, einbauen kann.

Womit machen Sie gute Erfahrungen?
Ich meditiere morgens. Ich halte tatsächlich Ordnung um mich herum. Ich spare mir die guten Klamotten nicht für besondere Gelegenheiten auf, die viel zu selten kommen. Ich versuche, Multitasking zu vermeiden und immer mal wieder Dinge zu tun, die ich nicht von mir gedacht hätte. Ob mir das alles auch immer gelingt? Natürlich nicht!.

Gönnen Sie sich nun wieder warmen Schokokuchen mit flüssigem Kern?
Ich habe aufgehört, mich zu ernähren, und angefangen, wieder zu essen. Eine großartige Lebensbereicherung, die sich natürlich auch auf der Waage bemerkbar macht! Willst du dünn sein oder das Rahmgeschnetzelte mit Rösti bestellen? Ich habe mich entschieden.


Über "Neuland":

Höchste Zeit auszuprobieren, was das Leben noch zu bieten hat - und was in uns selbst an Temperament und Talenten, Sehnsüchten und Stärken schlummert: Ildikó von Kürthy hat ein ganzes Jahr lang Neuland erkundet. Ihre Erlebnisse und Erfahrungen schildert sie persönlich wie in einem Tagebuch - mit umwerfender Situationskomik und Selbstironie. Die ultimative Gute-Laune-Lektüre für die perfekte Lebensglück-Mischung von Sünden-Samstagen und Tugend-Sonntagen, grünem Tee und grauem Burgunder, Sprossen aus Eigenanbau und Schokolade. Amüsant und anregend wie ein Abend mit den besten Freundinnen.
Ildiko von Kürthy