Anne Cleeves lebt selbst nicht auf den Shetland-Inseln - da ist es natürlich eine Herausforderung (wie sie selbst sagt), eine Geschichte in so einem ebenso übersichtlichen wie abgelegenen Teil unserer Welt anzusiedeln - aber auch eine Chance, denn so lässt sich der örtliche Rahmen gut eingrenzen, mit seinen mitunter überraschenden Örtlichkeiten und Gepflogenheiten: Ein vielversprechende Setting für die Geschichte.Diese hier spielt im Winter, in Eis und Schnee und dem kalten Wind, der über die Inseln fegt. Da ist Magnus, ein einsamer und etwas zurückgebliebener alter Mann, der die Raben beobachtet, wie sie am Himmel kreisen und miteinander Fangen spielen. Der den Menschen zuschaut, die an seinem Haus vorbeikommen und meist vergeblich auf einen Besuch hofft. Die Künstlerin Fran ist mit ihrer aufgeweckten Tochter aus England hierhergezogen; ihr geschiedener Mann stammt von dieser Insel und lebt ebenfalls dort. Die beiden Freundinnen Catherine und Sally verbindet ihr Außenseitertum in der Schule miteinander.Es ist Fran, die Catherine eines Morgens findet. Das Mädchen liegt tot im Schnee. Die Raben lassen sich kaum vertreiben; sie haben ihr bereits ein Auge ausgehackt.Für den Fall zuständig ist Inspektor Perez, schwarzhaarig und mit markanter Hakennase. Er klopft an die Scheibe des Autos, in dem Fran auf die Ankunft der Polizei wartet. "Ein Ausländer, dachte sie, noch sehr viel ausländischer als ich" - seine Sprache aber weist auf eine shetländische Herkunft.Es gibt in diesem Buch eine Reihe solch kleiner Rätsel, die irgendwann wie selbstverständlich gelöst werden und viel dazu beitragen, eine stete, aber nicht zu drängende Spannung zu halten. Immer wieder wechselt Cleeves die Erzählperspektive: Mal schildert sie die Geschehnisse aus der Sicht von Magnus oder Fran, dann aus derjenigen von Sally oder ihrer Mutter. Bruchstückhaft erfahren wir etwas über die Personen, ihre Ängste, Hoffnungen und innerste Gedanken, lernen die eine oder andere Seite von ihnen kennen, ohne sie ganz erfassen zu können.Das ist - abgesehen davon, dass der Plot in sich stimmig ist - die größte Stärke dieses und auch der weiteren Bücher von Anne Cleeves: Sie zeigt uns ihre Personen in einer Vielschichtigkeit, die erahnen lässt, dass wir sie nie ganz erfassen, nie ganz kennenlernen werden. Dass sie sich ihrer selbst auch nicht immer sicher sind und des Bildes, das sie sich voneinander machen. Stück für Stück fügen sich die Persönlichkeiten, fügt sich die Geschichte in unserer Vorstellung zusammen, wirft in überraschenden Wendungen immer wieder neue Perspektiven auf, bis zu der verblüffenden Lösung am Schluss. (Die ist wirklich verblüffend, und ich bin nicht sicher, ob ich sie wirklich ganz schlüssig finde - doch das tut dem Lesevergnügen keinen Abbruch. Dies hier ist schließlich nicht die Wirklichkeit, sondern ein Krimi. Und ein richtig gut geschriebener dazu.)Worüber ich mich geärgert hat, ist der "Über das Buch"-Text. Es darf einfach nicht sein, dass darin Dinge beschrieben werden, die erst im letzten Viertel des Romans zum Tragen kommen. Aber das ist eine Sache des Verlags. Hier würde ich mir mehr Sorgfalt bei der Vermarktung wünschen.