Der berührende Roman "Reise nach Laredo" von dem mehrfach mit Literaturpreisen ausgezeichneten österreichischen Schriftstellers Arno Geiger entführt uns auf eine faszinierende literarische Reise, auf der wir an den letzten Lebenswochen des abgedankten Kaisers Karl V. im Jahr 1558 teilhaben.
Dieser tiefgründige Roman ist jedoch weit mehr als ein historischer Roman. Er kann als eine zeitlose Parabel gelesen werden, die existenzielle Fragen aufwirft und zu einer tiefgründigen Auseinandersetzung mit universellen menschlichen Themen anregt wie Selbstfindung, Identität, Suche nach Sinn und dem wahren Wert des Lebens, Glauben, Sterblichkeit und Loslassen.
Geigers brillanter bildhafter und poetischer Sprachstil und seine atmosphärischen Beschreibungen lassen die Geschichte rasch lebendig werden.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht der 58-jährige, einst einflussreiche Herrscher Karl, der sich nach seiner Abdankung ins spanische Kloster Yuste zurückgezogen hat. Vereinsamt und gezeichnet von Krankheit und Alter sieht er dort seinem Tod entgegen. Die Begegnung mit seinem illegitimen elfjährigen Sohn Geronimo wird zum Auftakt einer spontanen nächtlichen Odyssee, die das ungleiche Paar über abenteuerliche Umwege schließlich ans Meer nach Laredo führt.
Geiger gelingt in seinem Roman eine faszinierende Verschmelzung von historischen Fakten und Fiktion. Die Geschichte entfaltet sich auf zwei kunstvoll verwobenen Erzählebenen: Einerseits begleiten wir Karl durch seinen schleichenden Verfall und langsamen Sterbeprozess, wobei uns tiefe Einblicke in sein Seelenleben und seine inneren Kämpfe gewährt werden. Andererseits entführt uns der Autor auf eine phantastische Reise nach Laredo, auf der die Protagonisten mit ihren eigenen inneren Dämonen konfrontiert werden, und die sich vorwiegend in Karls fiebrigen Wahnvorstellungen abspielt. Durch die geschickte Integration surrealer Elemente verwischt Geiger die Grenze zwischen Wirklichkeit und Phantasie. So entsteht ein vielschichtiges Narrativ, das historische Genauigkeit mit literarischer Freiheit vereint und den Leser in seinen Bann zieht.
Die symbolische Spiegelung der historischen letzten Reise von Karl V. von Laredo quer durch Spanien nach Yuste verleiht die dem Roman eine interessante zusätzliche historische Relevanz.
Die einfühlsame Darstellung von Karls Sterbeprozess nicht nur als Ende seines Lebenswegs sondern auch als eine erhellende Reise ins eigene Ich und zur Selbsterkenntnis ist besonders eindrucksvoll gelungen und tief berührend.
Geiger entwirft ein facettenreiches Bild Karls V., das sowohl den einst mächtigen Monarchen als auch den gebrechlichen alten Menschen offenbart. Er zeigt einen Mann, der unter der Last seiner Herrschaft litt und nun, am Ende seines Lebens, mit Schwächen, Zweifeln und Ängsten ringt. Gleichzeitig eröffnet ihm die imaginäre Reise ungeahnte Momente der Leichtigkeit und Freiheit - ein bewegender Kontrast zu seinem bisherigen, von Pflicht und Verantwortung geprägten Dasein.
Geiger verzichtet bewusst auf einen historischen Anhang zu Kaiser Karl V. und seiner Epoche. Diese Entscheidung fordert den Leser zwar heraus, sich selbst um die geschichtliche Einordnung zu bemühen, unterstreicht aber gleichzeitig die zeitlose, allgemeingültige Botschaft des Romans, die über die bloße historische Nacherzählung hinausgeht. Indem der Autor den Protagonisten nicht explizit als Karl V. identifiziert, öffnet er Raum für eine tiefere Deutungsebene: In jedem Menschen steckt ein "zurückgetretener König" - eine Metapher für die Suche nach dem eigenen Ich jenseits gesellschaftlicher Rollen.
FAZIT
Ein feinsinniger und anspruchsvoller Roman, der durch seine psychologische Tiefe und sprachliche Brillanz besticht. Ein beeindruckendes und bereicherndes Leseerlebnis, das tief berührt und zum Nachdenken über die großen Fragen des Lebens anregt!