"Man kann die Erfahrung nicht früh genug machen, wie entbehrlich man in der Welt ist." - S. 14 (Goethe Zitat aus: Wilhelm Meisters Lehrjahre, 1795/6. 7. Buch, 8. Kap., Wilhelm zu Madame Melina)Der162-Seitenschmale Roman "Zwölf Mal Juli"vonAstrid Rosenfeldist 2015imDiogenes Verlagerschienen und handelt von Juli, die nach Jahren ihrer großen Liebe Jakob wiederbegegnen soll. Bisher habe ich bereits ein Werk von Astrid Rosenfeld,"Adams Erbe"gelesen, welches mir außerordentlich gut gefallen hat. Sowohl der besondere Schreibstil als auch das Gespür der Autorin für Humor haben es mir damals angetan, weshalb ich auch bei "Zwölf Mal Juli" Großartiges erwartet habe. Die mittellose und mäßig erfolgreiche Schriftstellerin Juli wird von ihrem langjährigen Freund Jakob aus heiterem Himmel verlassen. Die Jahre vergehen - ohne ein Lebenszeichen. Bis Juli eine E-Mail erhält, in der Jakob seinen Besuch ankündigt. In genau 12 Tagen...Die 12 (kurzen) Kapitelstehen für 12 Tage in Julis Leben. Der Lesende erwartet, wie Juli, die Ankunft von ihrer verloren geglaubten Liebe: Jakob. Die gespannteErwartung auf dieses Zusammentreffenliegt in der Luft und baut sich auch beim Lesenden immer weiter auf, je mehr Tage vergehen. DasWarten auf Jakobist das übergeordnete Geschehen. In dem Buch folgt man ausschließlich Juli aus derpersonalen Erzählweise und in der Vergangenheitsform. Sprachlich fällt auf, dass sie immer wiederbelanglose Fakten und unnützes Wissenrezitiert, wenn sie aufgeregt oder emotional verwirrt ist. Dies dient ihr ganz offensichtlich als Bewältigungsstrategie. Am Ende der einzelnen Kapitel stehen regelmäßigZitate bekannter Autoren. Die Geschichte wird inkurzen, elliptischen Sätzen und Wiederholungenerzählt.Das Cover ziert ein Gemälde eines Vogels. Dies ist sehr passend, denn eine tote Taube und ihre Verwesungsstadien dienen der Geschichte als Rahmenhandlung. Zudem hat der Roman etwasEpisodenhaftes. Denn jedem Kapitel liegen dieBegegnungen mit unterschiedlichsten Personenzugrunde. Dies können enge Verwandte (Mutter), Freunde (Nachbarn) oder auch völlig Fremde und Zufallsbekanntschaften sein. Dabei verliert man denFokus, der auf Juli gerichtet ist, nie, sondern lernt, im Gegenteil, sie immer besser kennen. Nach Julis erfolgreichemDebüt als Autorinverlässt sie der Mut und sie verfällt in eineSinneskrise, in der sie sich zunehmend fragt, ob und was sie der Welt überhaupt zu erzählen hat. An dieser Entwicklung ist derWeggang von Jakobmaßgebend schuld, denn Juli sucht seit Jahren nach einem Grund für seine stille Flucht. Als Charakter ist sie kindlich und glaubt anMythen, Sagen und Wunder. Sie nimmt diese ungeheuer ernst und wartet auf einZeichen. In ihren Gesprächen mit anderen Personen wird klar, dass sie eigenbrötlerischist und auch immer wieder aufUnverständnistrifft. "Was macht man, wenn alles, was man geliebt hat, plötzlich nicht mehr da ist?" (S. 52)Der Verlust von Jakob hat ihrSelbstbewusstsein stark angeknackst. Sie leidet darunter, verlassen worden zu sein. Es wird deutlich, dass Jakob nicht nur Julis Geliebter gewesen ist, sondern auch ihr Vorbild. Mit all' ihren Taten versucht sie, ihn zu beeindrucken. "Und wer bestimmt, was echte Probleme sind und was nicht? Wer bestimmt, wann jemand traurig sein darf?" (S. 72)Es gibt Anzeichen, dass Juli Probleme mit ihrer mentalen Gesundheit hat. Sie scheint unter Zwängen zu leiden und ist schnell überfordert. Außerdem verbringt sie Tage auf dem Sofa, grübelt über den Sinn des Lebens und verliert sich in düsteren Gedanken. An anderen Tagen ist sie geradezu manisch, streicht ihre Wand halb oder tätigt Impulskäufe. Dann gibt es noch eine Reihe von skurrilen Nebencharakteren, die jedoch immer nur kurz und fragmentarisch auftreten. Mir hat gefallen, dass das Buch einen episodenhaften Charakter hat und man an jedem Tag eine neue Facette von Juli entdecken konnte.Innerhalb des Romans wird dem Lesenden zunehmend klar, dass es sich bei der vorherigen Beziehung von Jakob und Juli um keine auf Augenhöhe handelt. Denn er nimmt sie nicht ernst, flirtet vor ihren Augen fremd und macht sich über sie lustig. Es wird deutlich, dass Jakob Juli für jederzeit abrufbereit und eine sichere Nummer hält, sodass man sich fragt, ob es nicht sogar besser ist, dass er weg ist. Es regt einen geradezu auf, wie Juli sich auf Jakobs Rückkehr freut und das sie sein Verhalten nicht richtig einordnen kann.Diese Darstellung der Beziehungsdynamik fühlt sich realistisch an. Als Lesender entwickelt man eine emotionale Beziehung zu Juli, in der man hofft, dass sie ihren eigenen Weg findet undselbstbestimmt in ihr neues Leben startenkann. Auch aus dieserHoffnungheraus wartet man gespannt auf den Ausgang der Geschichte. Ebenfalls mochte ich, dass große Themen wie Freiheit, Verlust, die eigene Bestimmung und das Loslassen leise und humorvoll angesprochen werden, den Lesenden aber nachdenklich zurücklassen. Ich empfand es als passend, dassnicht jede Frage abschließend geklärt, sondern lediglichDenkanstöße gegebenwurden. Mir hat es außerdem gefallen, dass dasCover des Buches zum Romaninhalt passt. Außerdem genießt man als Buchliebhaber die literarischen Anspielungen und Zitate, die Juli bringt. Negativ anmerken könnte man höchstens, dass der Roman nicht allzu umfangreich ist.Sich jedoch über die Länge eines Buches zu beschweren, impliziert nur, dass man gerne mehr gelesen hätte, was man durchaus als gutes Zeichen werten kann.Ich würde das Buch denjenigen empfehlen, die ruhige und nachdenkliche Geschichten mögen und am Ende eines Buches nicht jede Frage bis ins kleinste Detail geklärt haben müssen. Es geht um Liebe, Verlust, die eigene Bestimmung und Daseinsberechtigung sowie das Loslassen. Mich hat besonders die Sprache und der Charakter von Juli beeindruckt. Ich gebe 5 von 5 Sterne.