"Himmelsspitz" - klingt so die Freiheit? Die Erlösung? Oder ist dies nur ein weiterer Ort, an dem sich Menschen in beklemmender Weise mit dem Leben arrangieren? Eins ist aber sicher: "Himmelsspitz" ist ein hervorragender Alpenkrimi von Christiane Tramitz. Wer allerdings einen dieser Krimis mit dem Ablauf: Mord - Ermittlung - Aufklärung erwartet, liegt hier falsch. Der Autorin ist etwas viel besseres gelungen. Zwei parallele Handlungsstränge rasen auf einander zu - obwohl bzw. gerade weil sie zu unterschiedlichen Zeiten spielen (einmal in den 1940er Jahren und einmal in den 1960er Jahren) - verweben sich miteinander und werden wohl für immer vereint sein. In den Szenen, die in den 1940er Jahren spielen, werden die verschiedenen Dorfbewohner von Fuchsbichl beschrieben. Jeder hat sein eigenes, manchmal sehr schweres Päckchen zu tragen. Jeder muss für sich sehen, dass er das Beste aus seinem Leben macht und jeder kämpft für sich und doch gibt es so etwas wie eine dünne Verbindung zwischen allen. Eine, die den Leser glauben lässt, dass, wenn es hart auf hart kommt, alle Fuchsbichler zusammen halten. Alle??? In den Szenen, die zu den 1960ern gehören, wird eine kleine Patchworkfamilie beschrieben, die mittlerweile alltäglich ist, aber in den 1960ern wohl eher noch sehr selten war. Mutter Isabel, mit Tochter Lea, von deren leiblichem Vater nichts bekannt ist, und der Stiefvater Horst. Lea hat große psychische Probleme, die sich unter anderem in exzessiven Träumen und extremen Schlafwandeln äußern. Um Ruhe in diese Sache reinzubringen, willigt Horst einer langen Ferienreise ein, die so ganz anders verlaufen wird, als er sich das gedacht hatte. Schon auf den ersten Seiten konnte ich staunen, wie es Christiane Tramitz gelingt, mit wenigen Worten unterschiedliche Stimmungen zu erzeugen. Die Szenen mit Horst empfand ich als so bedrohlich, dass ich die folgende Textstelle (S. 12) als eine Art Genugtuung empfand: "Lea saß auf dem Rücksitz und betrachtete Horsts Gesicht von der Seite. Es erinnerte sie an ein Tier. An einen Vogel. Eine Eule, ja, an eine Eule mit Federohren und stechenden Augen. Sie nähert sich dem Opfer geräuschlos. Nach einem kräftigen Totenbiss wird die Beute mit den kräftigen Fängen gewalkt, dabei werden die Flügel in der sogenannten Fangstellung weit über der Beute gespreizt, las Lea in ihrem Tierlexikon. Sie kramte in ihrer Tasche nach einem Stift und schrieb unter die Waldohreule: Horst." So detailliert, wie Horst hier noch zusätzlich beschrieben wird, sind alle Protagonisten des Krimis beschrieben. Um nur einen zu nennen: Urban Kraxner. Auch hier ist es der Autorin gelungen, dass jegliche Sympathie, die man vielleicht am Anfang noch für Urban hatte, komplett verloren geht. Im Gegenteil, ich habe beim Lesen zu eine Abneigung entwickelt, dass ich froh war, dass es sich hier nur um einen Krimi handelt und nicht um mein reales Leben. Obwohl es sich bei "Himmelsspitz" um einen Krimi handelt, habe ich viele Stellen entdeckt, die mich über verschiedene Dinge und auch über das Leben allgemein nachdenken lassen. So eine Stelle ist auf S. 59 zu finden: "'Wissen Sie, die Welt weit oben ist eine sonderliche', sagte er zu Isabel, als ihre Gondel [Riesenrad] den höchsten Punkt erreicht hatte und ein paar Minuten stillstand. 'Auf jedem Meter des Weges in die Höhe rückt alles in die Ferne, und die Zeit verliert an Geschwindigkeit. Alles da drunten wird gemächlicher, langsamer, und je größer die Entfernung ist, desto mehr scheint die Zeit stillzustehen. Der Weg nach oben führt in die Stille. Und in die Einsamkeit.'" Oder auch auf S. 229: "Welch unheimliche Macht war hier am Werk, welch unvorstellbare Verknüpfung von Zufällen [...] ... Als säßen die Geister auch ihr im Nacken und raunten: 'Bedenke, bedenke und frage dich, gibt es solche Zufälle, oder sind nicht wir am Werke?'" Gegen Ende des Krimis überschlagen sich die Ereignisse, man erfährt viele Zusammenhänge, die man bisher nur geahnt (oder auch nicht) hatte und man möchte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. Und dann ist es doch ganz schnell da, das Ende des Buches. Es hinterlässt so viele Gefühle: Freude und Trauer, Erleichterung aber auch Verwirrung, Zuversicht und Hoffnung, aber auch ein Gefühl der Endgültigkeit. Mir fällt es nach so einem tollen, gefühlvollen Buch immer schwer, in den Alltag zurück zu kehren, denn ich würde gern weiter bei Lea und Isabel bleiben und sie noch ein Stückchen in ihren Leben begleiten. "Doch war es nicht die Seele, sondern die Zeit, die sich über all jene senkte, die sie brauchten. Dort trat sie ihre lange, schwere Arbeit an. Sie setze sich in die Herzen, um - ganz allmählich Trauer, Verzweiflung, Wunden und kranke Seelen zu heilen, um böse Gedanken zu löschen, schlimme Träume in schöne zu wandeln, und um alte Wege zu sperren, damit neue begangen werden können." (S. 273f.) Ich bin begeistert von diesem Krimi, vom Aufbau, dem Wechsel der Zeiten und Orte, von der Beschreibung der einzelnen Personen und von der Art, wie im Buch mit einfachen, aber treffenden Worten verschiedene Stimmungen und Vorstellungen erzeugt werden. Der zweite Krimi "Hadesspitz" liegt ebenfalls schon zum Lesen bereit und ich bin mir schon fast sicher, dass er mich ebenfalls begeistern wird.