Dieser eine Moment ist es, der Jans ganzes Leben verändern wird. Nachts auf dem Fahrrad auf einer Landstraße und obwohl es regnet, könnte er platzen vor Glück, denn er hat gerade zum ersten Mal mit Laura geschlafen. Er sieht das entgegenkommende Auto nicht rechtzeitig, er versucht noch, ihm auszuweichen, aber es kommt zu einem folgenschweren Unfall. Der Fahrer springt zwar scheinbar unverletzt aus seinem Auto, aber er ruft in seinem Schock immer wieder den Namen "Catrin". Jan erleidet ebenfalls einen Schock und radelt einfach davon. Schon diese erste Nacht danach ist unerträglich und als er am nächsten Tag in der Zeitung liest, dass eine junge Frau bei dem Unfall schwer verletzt erblindete, meldet sich ein unerbittliches Gewissen. Es sind vor allem die Selbstzweifel, was er tun kann und soll, die ihn nicht zur Ruhe kommen lassen, auch Laura wird vollkommen unwichtig, vielleicht auch deshalb, weil sie ihm davon abrät, zur Polizei zu gehen. Wer noch nie bewusst große Schuld auf sich geladen hat, kann dieses Gefühl wohl nicht nachvollziehen, aber man muss doch zur Kenntnis nehmen, dass ungesühnte Schuld eine Last ist, die gewissenhafte Menschen nicht ertragen können. Für Jan wird das blinde Mädchen Catrin jedenfalls zur Kernfrage seiner Existenz. Erst als er sie persönlich kennen lernt und letztlich auch nachdem er von einem Gericht verurteilt wird, können die Leser hoffnungsvoll aufatmen: Jan wird eine Zukunft haben, mit der er und Catrin, vielleicht sogar glücklich, weiterleben können. Der Autorin gelingt es gut, jungen Lesern zu vermitteln, dass nicht nur die eigenen Gefühle das Lebensglück bestimmen. Die Fähigkeit der Projektion und das Einfühlungsvermögen, das uns Menschen auszeichnet, können uns auch in großes Unglück stürzen. Aber das ist kein Grund, sich einzuigeln. Diese Geschichte erzählt auch von der Möglichkeit, sich zu "ent-schuldigen". Das kann aber nur gelingen, wenn man sich Schuld eingesteht und die Entschuldigung herbeiführt.
Gabriele Hoffmann (Leanders Leseladen, Heidelberg)