Glück im Unglück für Thomas Hockenberry: Zwar ist dieser in Dan Simmons' Roman "Ilium" bereits tot, allerdings kommt ihm nach seinem Ableben eine besondere Ehre zuteil. Für die Götter des Olymp soll der ehemalige Professor für Philosophie nämlich den Trojanischen Krieg begleiten und im Auftrag der Muse Kalliope überprüfen, ob die weltberühmte Ilias des griechischen Dichters Homer auch tatsächlich den Tatsachen entspricht. Angesichts des früheren Berufes und der offenkundigen Leidenschaft des Verstorbenen für die griechische Mythologie könnte man also fast behaupten, dass Hockenberry nach seinem Tod in seinem ganz persönlichen Paradies gelandet ist.Ganz so einfach ist die Sache aber nicht, wie auch die Lesenden dieses Romans schnell feststellen werden. Das beginnt bereits bei einigen zeitlichen Unstimmigkeiten, denn der erbitterte Kampf um Troja ereignete sich - sofern man überhaupt an dessen Historizität glaubt - ungefähr 12 Jahrhunderte vor Christus; wie landet also ein Professor aus dem 21. Jahrhundert plötzlich auf diesem Schlachtfeld - und warum steht ihm dabei allerlei futuristisch anmutende Technologie zur Verfügung? Und wieso soll er die Echtheit eines Ereignisses überprüfen, das offenbar gerade erst vor seinen Augen geschieht, zugleich aber bereits schriftlich festgehalten wurde?Gerade in der ersten Hälfte des mehr als 800 Seiten starken Wälzers ergeben sich zahlreicher solcher Fragen, auf die Dan Simmons nur selten eine Antwort liefert. Stattdessen muss man dieses komplexe, verwirrende aber zugleich auch faszinierende Puzzle nach bestem Vermögen selbst zusammensetzen. Das ist eine echte Herausforderung, da sich die Geschichte auf drei verschiedenen Handlungsebenen abspielt und man neben Professor Hockenberry in Ilium auch noch zwei intelligente Roboter irgendwo im Weltall und eine Gruppe sogenannter "Altmenschen" auf einer im Vergleich zu heute stark veränderten Erde auf ihrer jeweiligen Odyssee begleitet. Wie das alles zusammenhängt ist ein großes Rätsel, das zwar ungemein neugierig macht, häufig aber durch die vielen Geheimnisse und weißen Flecke in der Geschichte auch für einen gewissen Frust sorgen kann. Für alle Lesenden, die nicht im Detail mit der griechischen Mythologie vertraut sind, kommt zudem ein ungemein komplexes Figurengeflecht auf dem trojanischen Schlachtfeld hinzu, bei dem man als Außenstehender nur schwer den Überblick behält, wer hier eigentlich warum gegen wen kämpft. Wenigstens hier nimmt der Autor sein Publikum aber in Form des Lehrers Hockenberry an die Hand, der zumindest die wichtigsten Zusammenhänge erläutert.Das Fazit zu "Ilium" fällt insgesamt durchwachsen aus: auf der einen Seite ist die Idee und das Setting ungemein faszinierend und man möchte unbedingt wissen, wie all die Geschehnisse, Handlungsstränge und Figuren letztlich zusammenhängen. Auf der anderen Seite gibt es auf all diese Fragen nur selten eine befriedigende Antwort, zudem wird die Geschichte durch die vielen Unklarheiten mitunter auch sehr verwirrend und birgt ein gewisses Frustpotenzial. Selbst nach den letzten Seiten bleibt man mit mehr Fragezeichen als Antworten zurück, was aber auch darin begründet liegt, dass die Geschichte von "Ilium" im Nachfolgeband "Olympos" noch weitergeführt wird. Ob man dafür am Ende des ersten Buches aber noch genug Geduld und Neugier übrig hat, muss jeder für sich selbst entscheiden.