Eshkol Nevos vielschichtiger Roman "Trügerische Anziehung" beschäftigt sich in drei Erzählungen mit Beziehungen unterschiedlicher Art - Mann-Frau, Mutter-Kind, Vater-Kind. Es geht um sexuelle Anziehung, um Liebe, Freundschaft, Verantwortung, Schuld und Tod, aber auch um die Suche nach der eigenen Identität, um Sehnsucht nach dem wahren Leben, nach Glück, Zufriedenheit, Erfüllung. Die Figuren, die uns begegnen, handeln häufig so nachvollziehbar und man kann ihre Ängste, Wünsche und Motivation verstehen. Andererseits werden viele Fehler gemacht und der einzelne steht sich selbst im Weg: die junge Witwe, die sich während der Totenwache mit einem Liebhaber trifft, der angesehen Arzt, der anscheinend einer jungen Medizinerin nachstellt, der Sohn, der die Mutter in einer schwierigen Situation allein lässt. Warum findet der / die einzelne nicht zu seinem / ihrem Glück, obwohl es doch so nahe liegt?Die Stränge der drei Erzählungen sind lose miteinander verknüpft und wie in einem klugen Vexierspiel sucht der Leser nach Überschneidungen und Verbindungen. Spannend und mit Thriller-Elementen müssen die Fäden entwirrt werden, denn die Wahrheit ist versteckt. Wie war es wirklich? Was ist passiert? Wem können wir trauen? Wie genau kennt man den geliebten Menschen? Diese Fragen durchziehen den Roman und das Suchen und Miträtseln wecken einen anregenden Lesegenuss. Die einzelnen Figuren sind nicht durchweg vertrauenswürdig, die Perspektiven wechseln und immer wieder müssen wir die Darstellungen des Erzählers hinterfragen. Eine klare Leseempfehlung für alle, die hintergründige, spannende und ungewöhnliche Geschichten lieben, bei denen gut und böse nicht klar definiert wird, viele Grauschattierungen auftreten, die unterschiedlichen Protagonisten vordergründig charmant und liebenswert wirken, dann aber doch eine ganz andere, dunklere Seite von sich preisgeben.