Erst im Juni habe ich mein erstes Buch der Autorin gelesen, die dafür ja auch sehr gehyped wurde: "Frauen schulden dir gar nichts." "Girlcrush" wiederum hat online weniger Aufmerksamkeit bekommen. Das hängt wahrscheinlich unter anderem mit dem Genrewechsel zusammen, zumindest ist das meine Theorie. "Girlcrush" ist nämlich kein Sachbuch bzw. Ratgeber, sondern ein Roman. Und noch dazu nicht unbedingt der einfachste Roman, den ich je gelesen habe. Was jetzt für mich nicht unbedingt etwas Negatives ist, ist halt einfach nicht mehr für alle Menschen einfach so zugänglich.In diesem Roman geht es um Eartha. Sie ist eine bisexuelle Künstlerin, wohnt in einer grottigen Wohnung und hat gerade ihren Freund rausgeschmissen, weil er sie mit einer anderen Frau betrogen hat und dieser Frau auch noch ihr Lieblingsshirt geschenkt hat, das sie selbst designt hat. Jetzt, wo er endlich weg ist (die Trennung war lange überfällig, da sind Eartha und ich uns einig) schafft Eartha es, sich endlich als bi zu outen - und ihr Outing geht viral. Ganz Wonderland (DIE Social-Media-Seite in Earthas Welt) hat dieses Video gesehen und plötzlich wird Eartha als die Stimme ihrer Generation gesehen. Alle kennen sie, alle lieben sie, alle beobachten sie. Und Eartha muss am eigenen Leib erfahren, wie schnell sich Liebe in Hass und positiver Zuspruch in einen Shitstorm verwandeln kann.Kleine Anmerkung gleich zu Beginn: Vielleicht wäre es hier angebracht gewesen, Triggerwarnungen im Buch zu platzieren. Das hier ist keine einfache, keine lustige Lektüre, zumindest über weite Teile nicht. Es geht hier um Gewalt in der Beziehung, um Depressionen und Missbrauch und Biphobie bzw. Bi-erasure und Queerphobia generell. Bi-erasure bezeichnet die Tendenz von Menschen und Medien, Bisexualität zu verdrängen und als nicht-existent darzustellen. Hier geschieht das zum Beispiel, wenn Eartha es wagt, einen Mann zu küssen. Denn wenn sie einen Mann küsst, dann bezeichnet sie sich offensichtlich ja nur als bi, um Aufmerksamkeit zu bekommen, oder? Also hat sie dafür wohl einen ordentlichen Shitstorm verdient, oder? Nein, Leute, deswegen hier ein kleiner Reminder, auch wenn ich nicht glaube, dass jemand von euch den wirklich braucht: Bisexuell bedeutet, dass eine Person nicht nur ein Geschlecht anziehend findet. Es bedeutet nicht, dass eine Person nie in einer Beziehung sein wird, die hetero auf die Außenwelt wirkt. Eine bi-Person kann daten, wen er:sie:they will und diese Person wird trotzdem bi bleiben. Außer, wenn diese Person entscheidet, dass sie sich nicht mehr als bi bezeichnen möchte. Sexuality is fluid und für manche Menschen ändert sich das im Laufe ihres Lebens. Das bedeutet dann aber nicht unbedingt, dass das vorherige Label falsch oder nur ein Übergangslabel war, sondern nur, dass dieses Label in dem Lebensabschnitt, in dem sich diese Person befindet, grade nicht mehr passt.Die Geschichte war meiner Meinung nach keine einfache Lektüre. Ich musste das Buch immer wieder kurz zur Seite legen und tief durchatmen. Das war für mich unerwartet, da das Buch von außen und in den ersten Kapiteln gar nicht so ernst wirkt. Umso überraschter war ich, wie ernst und düster der Ton der Geschichte bald wurde. Wie gesagt: Triggerwarnungen wären hier definitiv angebracht gewesen, denn das ist sicher nicht für alle Menschen geeignet. Und selbst wenn ihr mit den Triggern kein Problem habt, ist es wohl gut, einfach zu wissen, dass das hier keine locker-flockige Lektüre ist, wie es auf den ersten Blick wohl wirken könnte.Ich habe die Lektüre trotz der düsteren Stimmung genossen. Die Figuren sind spannend, das Setting ist interessant und ich fand es spannend, Earthas Weg zur Online-Persönlichkeit nachzuverfolgen. Influencer gibt es ja auch in unserer Welt und durch dieses Buch begegne ich Influencer:innen, die mir online angezeigt werden, inzwischen fast schon mit Mitleid. Ja, diese Leute sind berühmt und sehen eigentlich immer glücklich aus, aber dieses Leben wäre mein Albtraum. Ich würde auf keinen Fall wollen, dass mein Privatleben in meinem Beruf so eine große Rolle spielt. Ich würde nicht wollen, dass sich Menschen online eine Meinung zu meinem Aussehen, meiner Familie, meinen Partnern, meiner Wohnung oder meinen Freundschaften bilden. Sorry Leute, aber das geht euch alle nichts an. Ich gehe davon aus, dass ihr hier seid, um meine Meinung zu verschiedenen Büchern zu lesen und nicht, weil ihr wie Creeps darauf hofft, dass ihr hier mehr über mein Privatleben erfahrt.Spannend fand ich die Entscheidung des Verlags, hier tatsächlich alles strikt durchzugendern. Machte für mich auch voll Sinn und passte zu Eartha, aus deren Sicht wir die Geschichte erzählt bekamen. Es passte so gut, dass mir erst im Nachhinein auffiel, dass das nicht so im englischen Original stehen kann. Die meisten Bezeichnungen sind im Englischen auch so schon genderneutral (zumindest meines Wissens nach), deswegen muss während der Übersetzung diese Entscheidung gefallen sein. Wie gesagt, ich fand das super spannend. Und es machte mir auch Lust, mal das Original in die Hand zu nehmen, um zu sehen, wie das denn dort geschrieben wurde und ob mir dort überhaupt irgendwas auffällt.Interessant finde ich auch den Wechsel zwischen den verschiedenen Stilarten, wie er hier stattfand. Manche Stellen sind wie ein normaler Roman geschrieben, manche wie ein Drehbuch, vieles auch in Form von Postings mit den entsprechenden Kommentaren oder Chatverläufe. Ich mochte das, ist aber sicher nicht für alle was.Den einzigen Abzug gibt es von meiner Seite dafür, dass das Buch gerade gegen Ende hin etwas unstrukturiert wirkte. Einerseits konnte ich das verstehen, da Eartha halt doch immer mehr den Bezug zur Realität verliert, andererseits gab es hier dann doch einige wichtige Szenen (vor allem eine), wo es vielleicht hilfreich gewesen wäre, wenn ich als Leserin schon auf den ersten Blick verstanden hätte, was denn da passiert ist.Mein Fazit? Dieses Buch hat online nicht besonders viel Anklang gefunden, mir hat es aber gut gefallen. Man muss in einer bestimmten Stimmung sein, um dieses Buch zu mögen, ich hatte aber das Glück, dieses Buch in genau dem richtigen Moment gefunden zu haben.