Frauen fallen durch ihre Seltenheit auf - die Präsenz des Nichtvorhandenseins
Wann immer vom Mittelalter die Rede ist, fällt Einem höfisches Gepränge, scheppernde Ritter, zugige Burgen, da oder dort ein Burgfräulein, das gerettet werden muss und geknechtete Bauern, die Frondienste für ihre Herrscher leisten mussten sowie gotische Kathedralen ein. Frauen kommen wenig vor, denn die Geschichte wird fast ausschließlich von Mönchen geschrieben, und das sind ja bekanntlich Männer.
Janina Ramirez geht in diesem Buch der Frage nach, wo denn die Frauen des Mittelalters ihren Platz gefunden haben und warum sie kaum bekannt sind. Dabei fördert sie erstaunliches zutage.
Nach einer doch etwas längeren Einleitung macht sie uns mit zahlreichen Frauen, wie der wohl bekanntesten, nämlich Hildegard von Bingen, der polnischen Herrscherin Jadwiga (die eigentlich König von Polen war) oder den Kriegerinnen, die Seite an Seite mit den Nordmännern kämpften. Mit Æthelflæd stellt uns die Autorin eine mächtige Frau vor, die mehrere Jahre umsichtig das Königreich Mercia beherrschte.
Janina Ramirez, Kunsthistorikerin, Litertaur- und Sprachwissenschaftlerin, zeichnet ein etwas anderes Bild des Mittelalters, das rund 1.000 Jahre mit dem Ende des Römischen Reiches (476 n.Chr.) bzw. mit dem Ende der Völkerwanderung beginnt und sich bis zur Entdeckung Amerikas erstreckt. Tausend Jahre, in denen zahlreiche Kriege und Krankheiten Europa überziehen, tausend Jahre, in denen großartige Kirchen erbaut werden, um dem Christentum zu seiner Herrschaft und Glanz zu verleihen.
Die Autorin nimmt uns zu Ausgrabungen mit, in deren Aufarbeitung so manche Überraschung wartet. So entpuppt sich das Grab eines Kriegers als Grab einer Kriegerin, wie die forensischen Archäologen mithilfe von DNA-Analysen feststellen.
Janina Ramirez teilt ihre Frauengestalten in neun Kategorien:
1. Die Macherinnen
2. Entscheidungsträgerinnen
3. Kriegerinnen und Anführerinnen
4. Künstlerinnen und Mäzeninnen
5. Universalgelehrte und Wissenschaftlerinnen
6. Spioninnen und Gesetzlose
7. Könige und Diplomatinnen
8. Unternehmerinnen und Influencerinnen
9. Ausnahmegestalten und Außenseiterinnen
Häufig ist es der Zufall, der schriftliche Aufzeichnungen über die Frauen des Mittelalters zutage fördern. Sei es, dass eine Abschrift eines Prozesses, in dem eine Frau angeklagt worden ist, oder sei es, dass Vorschriften über Verhaltensweisen für Frauen entdeckt werden.
Gemeinsam haben diese schriftlichen Beweise, dass sie von Männern geschrieben wurden und das, häufig Jahre nach dem Ereignis. Und, man weiß ja, dass Geschichte von Siegern geschrieben wird, in diesen Fällen von Männern, die Verdienst von Frauen gerne negieren und unter den sprichwörtlichen Teppich kehren.
Dieses Buch ist eine Hommage an die Frauen des Mittelalters, die vergessen und manchmal sogar bewusst aus der Geschichte entfernt wurden.
Das Cover hat mich ein wenig an die weibliche Vulva erinnert. Allerdings wird im Kapitel zu Hildegard von Bingen erklärt, dass dies eine Illustration einer ihrer Schriften ist, die sie kosmische Weltenei genannt hat. Passt aber trotzdem zur geballten Weiblichkeit.
Fazit:
Dieses penibel recherchierte und fesselnd erzählte Sachbuch Buch ist eine Hommage an die Frauen des Mittelalters, die vergessen und manchmal sogar bewusst aus der Geschichte entfernt wurden. Diesem anderen Blick auf die Frauen des Mittelalters gebe ich gerne 5 Sterne und eine Leseempfehlung.