Deteilverliebt und durchdacht
Das Buch beginnt mit Niobe und einem Mord, der die Handlung ins Rollen bringt. Doch auch der Suche nach dem Mörder wird weit mehr und sehr bald begleitet der Leser nicht nur den Mörder selbst durch die Kapitel, sondern auch ein Mitglied eines Geheimbundes. Alle drei Charaktere sind in Ich-Perspektive geschrieben und wechseln sich immer wieder ab. Trotz Kapitelunterteilung ist dieser Wechsel zu Beginn sehr verwirrend, da nicht auf Anhieb klar ist, wen wir gerade begleiten.Von Anfang an sind die Szenen und Details so genau beschrieben, dass eine einzigartige Atmosphäre entsteht. Doch nicht nur die erfundenen Kristalle und "Talente", die im Buch eine sehr große Rolle spielen, sind faszinierend, sondern auch die vielen recherchierten historischen Details. Als hätte der Autor das London des 19. Jahrhundert wirklich durchlebt, schildert er bis ins kleinste Detail Gerüche, Geräusche, die Zustände in den Straßen und zwischenmenschliche Gegebenheiten, die zu der Zeit normal waren. Das ist beeindruckend, nicht zuletzt, weil man herauslesen kann, wie viel Arbeit darin steckt. Leider führt das auch zu einem verlangsamten Tempo, das an manchen Stellen die Spannung hemmt. Auch wenn ich den genauen Schreibstil gut finde, wären mir schnelle Dialoge und "oberflächlichere" Handlungsstränge oft lieber gewesen. Innere Monologe, wie sie bei der Ich-Perspektive häufiger vorkommen, überlagern in wichtigen Momenten die Dialoge und Aktionen. Gerade, wenn man möchte, dass es schnell weitergeht, weil etwas interessantes passiert, erscheinen die vielen Details wie Hindernisse auf dem Weg zum Ziel.Die drei ProtagonistInnen treffen im Laufe des Buches aufeinander, jagen und verfolgen sich, was einen besonderen Reiz ausmacht. Von Anfang an lernen wir sie kennen und diese Begegnungen zu lesen war sehr interessant und amüsant. Das Zusammentreffen bringt die Handlung voran und der Höhepunkt des Buches ist schneller da, als man erwartet hätte, doch was dann geschieht, lässt mich ein wenig mit dem Gefühl zurück, dass da hätte mehr sein können. Das Buch hat in meinen Augen keinen richtigen Abschluss, es bleiben viele Fragen offen und selbst mit der Kurzgeschichte, die zumindest den Verbleib eines Hauptcharakters noch ein wenig abschließt, bleibt man als Leser irgendwie zurückgelassen.Wenn ich nur beurteilen würde, wie mir der Aufbau und die Handlung gefallen hat, müsste ich drei Sterne geben. Schon zu Anfang lernen wir Antagonisten kennen, die zwar unheimlich viel Spannung aufbauen, aber keine größere Rolle spielen. Vielleicht erscheint mir das Buch am Ende deshalb so unfertig, weil es voll ist von ausgereiften Details, nur am Ende scheinen diese bei der Auflösung der Geschichte zu fehlen.Für die Details, die genaue Recherche und Komplexität würde ich fünf Sterne geben. Der Autor hat unglaubliches Geschaffen und mehr Details aus dieser Zeit hineingearbeitet, als ich je in einem Steampunk oder zeitgenössischen Roman (der nicht zu der Zeit entstanden ist) gelesen habe. Hut ab, vor dieser Leistung.Fazit:Wer detailverliebte, bis ins letzte Detail beschriebene Szenen in einer realistisch düsteren Welt Londons liebt und bereit ist, sich auf eine komplexe Welt einzulassen, ohne auf flüchtige Spannung zu hoffen und sich an losen Enden zu stören, wird diesen Roman lieben.