Besprechung vom 29.08.2024
Kurze Geschichte Rumäniens nach Wikipedia-Art
Dieser Medienwechsel ist missglückt: Der Schauspieler Sabin Tambrea schlüpft für den Roman "Vaterländer" in sein jüngeres Ich
"Schreibende Schauspieler" ist eine hässliche Kategorisierung. Wer spricht von singenden Installateurinnen, malenden Bäckern oder spitzentanzenden Literaturkritikern? Künstlerische Ambitionen jenseits ihres Brotberufs haben viele Menschen, brachliegende Fähigkeiten wohl alle. Und eine unvoreingenommene Betrachtung zeigt, dass es sich mit den - horribile dictu - schreibenden Schauspielern nicht anders verhält als mit musizierenden Literaturübersetzern oder bildenden Künstlerinnen unter den Schriftstellern: Manche können es, andere nicht.
Der vielfach ausgezeichnete Schauspieler Sabin Tambrea hat sich von seiner letzten Hauptrolle nicht ins Bockshorn jagen lassen. In "Die Herrlichkeit des Lebens" verkörpert er Franz Kafka; in seinem Roman "Vaterländer" erzählt er, wie er 1985 mit drei Jahren aus dem Rumänien Ceausescus nach Deutschland kam. Sein Vater, ein Musiker, war auf einer Konzertreise geflohen und holte Frau und Kinder nach.
Tambrea schlüpft in den kleinen Sabin, der in Marl in bescheidenen Verhältnissen, aber behütet aufwächst. Die neue Warenwelt, die mütterliche Schwester, die die Großfamilie vermissende Mutter und der sich abrackernde Vater, geplagt von Schuldgefühlen wegen der in Rumänien üblichen Sippenhaft für Angehörige von Republikflüchtlingen, bilden seine kleine Welt. Tambrea überschreitet ihre Grenzen nie, und so erfährt der Leser in gleichmütig eherner Ausführlichkeit, welche Wurstsorten dem kleinen Sabin die Fremde versüßen, wie sehr ihm das Theater gefällt und wie wenig die musikalische Ausbildung an der Violine. Als der Junge etwa 10 Jahre alt ist, stirbt sein Großvater Horea, und Tambrea lässt in anderer Schrift dessen Erinnerungen an Haft und Folter durch die nach Kriegsende gegründete Securitate folgen, bevor er in einem weiteren Romanteil von Liebe, Hochzeit und Schwangerschaft der Eltern Sabins erzählt. "Vaterländer" ist ein durch die Flucht aus Ceausescus Reich in drei Teile zerrissener autofiktionaler Familienroman, der sich über drei Generationen und fünfzig Jahre rumänischer Geschichte erstreckt.
Das ist ein gewaltiger Stoff, der geformt zu werden verlangt. Tambrea scheint die Ereignisse jedoch so wiederzugeben, wie sie ihm vielfach in der Familie erzählt worden sind. Die Geschichte seiner Eltern bis zur Flucht des Vaters verschneidet er mit einer kurzen Geschichte Rumäniens nach Wikipedia-Art (sieht man von der grellen Behauptung ab, KP-Sekretär Georghiu-Dej habe seinen offenkundig minderbemittelten Nachfolger Ceausescu aus sexuellen Gründen protegiert). Die Memoiren des Großvaters ähneln den Berichten der Securitate-Opfer, die in den Neunzigerjahren den rumänischen Buchmarkt beherrschten, leider in ihrer Unbeholfenheit. Und die Kindheit Sabins droht durch zahlreiche Stilblüten und Ungeschicklichkeiten schon bald für das Ende der Romanlektüre zu sorgen: Schlaf "donnert" den Jungen "unversehens in die nächsten Tage", dann stellt er "reflektierende Überlegungen" an, Gedanken schlagen "mit brutaler Macht in Mamas Bewusstsein ein", und Geld soll "besser dafür verwendet werden (. . .), deutsche Orchester der Umgebung vor der drohenden Insolvenz zu bewahren, von der so gut wie keines verschont geblieben war".
Was man von Tambrea gern am Küchentisch gehört hätte, in seiner eigenen Diktion mit österreichischen und rumänischen Einsprengseln, mit Zeitsprüngen und groben, aber emotional aussagekräftigen Verstößen gegen Satz- und einige andere Logiken, klingt gedruckt unbeholfen oder gleich falsch. Ein Lektorat hätte Tambrea vor vielem bewahren müssen - es scheint im Gutkind Verlag, eben neu gegründet in der Bonnier-Gruppe (zu der auch Ullstein, List, Econ und andere gehören), noch zu fehlen. Dem Bericht vom geglückten Wechsel der "Vaterländer" ist der Medienwechsel des Autors gründlich missglückt. JÖRG PLATH
Sabin Tambrea:
"Vaterländer". Roman.
Gutkind Verlag, Berlin 2024. 366 S., geb.
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