Wie bisher alle Booker-Prize-Gewinner, die ich gelesen habe (2), war auch Umlaufbahnen von Samantha Harvey zwar sprachlich interessant - aber gleichzeitig ein totaler Reinfall, der Jahresflop 2024 für mich.Die Prämisse klingt vielversprechend: Sechs Astronaut*innen umkreisen in einer Raumstation die Erde, und zwar sechzehnmal am Tag. Wie ist es, seine Heimat - den blauen Planeten - aus einem winzigen Fenster, aus so weiter Ferne zu beobachten? Quasi-Science-Fiction mit einem Nature-Writing-Ansatz, nur dass man hier nicht ganz nah ran geht, sondern ganz weit weg.Die Idee ist originell, und auch die poetische Sprache, das straffe Editing, und das Cover haben mich angesprochen. Aber, und zwar ein großes: Es ist voll von altbackenen, klischeehaften Hollywoodmotiven und Kalter-Kriegs-artiger Obsession mit R*ssland.Das reiche, weiße amerikanische Ehepaar, das die bitterarme, aber in ihrer Einfachheit glückliche Familie auf einer winzigen Insel im Pazifik anfreundet, nur um sie später aus dem All vor dem Taifun zu warnen, der auf die Inselgruppe zurollt; white saviourism at its best, Verweise darauf, dass die guten Amerikaner zu einem großen Teil Schuld am Klima sind, gab es nicht.Die zwei r*ssischen Kosmonauten, die mit an Bord sind, sinnieren vor allem über eins: R*ssland.Wie die R*ssen fast den Mond kolonisiert haben, was für tolles Essen sie an Bord haben (Borschtsch, was eigentlich das ukrainische Nationalgericht ist, welch Ironie), wie gastfreundlich sie sind, der großartige, nach Fortschritt strebende Geist der S*wjetunion, die "r*ssische Seele¿, hach... und ist da noch das Idol der einen Figur, ein real existierender r*ssischer Kosmonaut, der heute, in der Realität, ein Vertrauter P*tins ist und Gesicht des r*ssischen Weltallprogramms.Die eine Figur referenziert ihn ständig. Ein Beispiel, was für Worte er dieser Person in den Mund legt: "Die Menschheit ist eine Schar Seefahrer, denkt er, eine Bruderschaft von Matrosen auf offener See. Die Menschheit ist nicht diese Nation oder jene, sie besteht aus allen Menschen zusammen, auf immer verbunden, komme, was wolle¿ - ich hoffe, ich muss euch nicht erklären, warum das Narrativ der "Bruderschaft¿ im Angesicht des r*ssischen Angriffskrieges auf die Ukraine problematisch ist und es vielleicht etwas ironisch ist, in dem Kontext von Grenzenlosigkeit zu reden (you know, der, Astronaut, der referenziert wird, würde das heute vielleicht wirklich sagen. Und so meinen). Die Ukraine, sowie der Rest Osteuropas, findet übrigens an keiner Stelle im Buch Erwähnung, obwohl ständig irgendwelche Länder genannt werden.Hätte sie das getan, hätte sie ihr triviales Leitmotiv "wir sind alle Menschen, Frieden ist fragil, aber internationale Zusammenarbeit schützenswert¿ vielleicht auch mal politisch einordnen müssen - wie unangenehm für die Leserschaft des Bookers, puh!Vielleicht kann man das mit der Booker Prize Jury vergleichen: Eine Jury, die von ihrer erhabenen Position auf uns "andere¿ drauf blickt, von ganz weit weg, und sich selbst gut nach dem Lesen fühlt, weil sie ja nie selbst von irgendwas betroffen sein kann, außer vielleicht von ihren eigenen, individualistischen Problemen. Gewollte Zeitlosigkeit durch eine naive, von tatsächlichem Leben auf dieser Erde entkoppelte Sicht der Dinge.Das Buch, auf dessen Übersetzung ich mich dieses Jahr am Meisten gefreut habe - und das mich am meisten enttäuscht hat. 1,5 Sterne, ein halber Stern für den Schreibstil.Vielen Dank an Netgalley für das Rezensionsexemplar