Schöne Ansätze, aber letztlich nicht genug.
Gut geschrieben ¿ lässt sich leicht lesen, aber zwischendurch trifft man immer mal wieder auf schönen Formulierungen.Im Fokus steht natürlich die Protagonistin: Sie ist pessimistisch und zynisch, gilt als Selbstmordgefährdet mit einer Borderline-Störung und ritzt sich.Dummerweise driftet sie schnell ins Klischee und jammerhafte ab, sobald es um die Schilderungen aus ihrer Kindheit geht oder warum sie sich ritzt, denn an all ihrem Übel und schlechten Benehmen ist ausschließlich die Mutter schuld ¿ wirklich thematisch aufgegriffen wird das nicht. Ihre Krankheit selbst wird sogar praktisch gar nicht aufgegriffen.Alles was mit ihrer Krankheit, ihrer Vergangenheit, ihren Selbstmordwillen zu tun hat, ist sprachlich leider nicht so beschrieben, dass es mich teilhaben lässt, dass es mich in die Geschichte, in die Psyche der Protagonistin zieht ¿ sondern es hat manchmal sogar etwas theatralisches, leicht oberflächliches und jammerndes.Allerdings hat sie auch einen dunklen, zynischen Humor und das rettet es wieder etwas raus und verleiht ihr die nötigen Sympathiepunkte.Gut eingefangen fand ich die Arroganz und dieses von oben herabsehen gerade von (angehenden) Ärzten: ¿Machtlos zu sein, davon halten die Götter in Weiß gar nichts¿ (S. 72).Aber auch die Gleichsame Fürsorge der Sozialarbeiter und dessen Grenzen wurden kurz, aber eindringlich geschildert.Flüchtig werfen wir natürlich auch einen Blick auf zwischenmenschliche Beziehungen.Die Beziehung zu ihrem Therapeuten, ist schon recht sonderbar. Diese (sagen wir mal) ungewöhnlichen Therapiepraktiken mochte ich als Theorie: das verlassen des klinischen, Schema-F. Die Umsetzung fand ich hier ¿too much¿. Bei Marie funktioniert es wohl, ich fand es extrem unsensibel und unprofessionell.Die zu ihrer Zimmergenossin Amina. Das kurze aufblitzen von Freundschaft und füreinander da sein ¿ war schon wirklich sehr kurz, aber schön und gut dargestellt.Die Beziehung zu Emanuel fand ich schon etwas sehr dick aufgetragen ¿ der Gutaussehende, Anfang 20, Eltern gestorben, Mutter wie Großmutter waren Prostituierte, der einen Hirntumor hat und lernen will, wie man sich umbringen kann und dafür die Hilfe einer Selbstmordgefährdeten braucht. Ach bitte.Vor allem eine Person kam mir in dem Buch deutlich zu kurz und das war die Protagonistin selbst. Das Buch ist sehr kurz, es ist nur eine Momentaufnahme, es befasst sich nur mit dem Jetzt ¿ das finde ich als Idee gut, in der Praxis ist mir das zu wenig.Ihre Gedanken nehmen viel Platz ein und diese waren auch durchaus interessant. In der Destruktivität liegt eine gewisse Schönheit. Es gab sogar ein paar kurze philosophisch angehauchte Gedanken, andere regten einen zum nachdenken an, andere waren einfach nur schön formuliert ¿ wieder andere waren lediglich so da.Letztlich ist mir das aber nicht genug ¿ ihr ganzes Handeln wirkte auf mich nicht glaubwürdig. Es gab von der Seitenzahl her nicht genug Platz das zu fundamentieren, aufzubauen, glaubhaft zu machen ¿ oder es fehlte schlicht der Wille dazu.Woher ihr Todeswille stammt, erleben wir nicht ¿ ihre Vergangenheit wird verschwiegen.Und dann reicht auch ein Blick auf eine Leiche und auf Kranke und schon denkt sie in allem anders und der Lebenswille keimt ¿ das ist doch Blödsinn und viel zu sehr ¿von jetzt auf gleich¿.Das lässt doch sehr an der Geschichte zweifeln, denn letztlich muss man auch sagen, geht es in keinem Bereich so wirklich in die Tiefe, weshalb es schrecklich vorhersehbar war, in fast allen Einzelheiten.Auch wenn es durchaus Momente gibt, die einen berühren ¿ keine Frage.FazitDas Buch hatte schöne Ansätze. Immer wieder blitzte etwas auf, ein Gedanke, eine Formulierung, ein Gefühl, ein Moment.Letztlich war es aber nicht wirklich genug ¿ es fehlt die Zeit, den Platz, die diese Geschichte gebraucht hätte.