Die relativ junge Disziplin "Musiksoziologie" ist gekennzeichnet von einer Vielfalt von relevanten Zugängen und Theorien. Das Spektrum und die verschiedenen Ansätze dieses Faches zu erkennen, ist daher vor allem im Rahmen einer wissenschaftsgeschichtlichen Betrachtung möglich. In der vorliegenden Untersuchung liegt zudem das Hauptaugenmerk auf einer bislang disziplinären Grauzone: der Musiksoziologie in den "Ost-Block-Ländern". Für diese Untersuchung wurden erstmals in größerem Umfang musiksoziologische Quellen aus der DDR und der UdSSR ausgewertet, die sich zu einem nicht geringen Teil auf noch gültige wissenschaftliche Konzepte beziehen.
In der musiksoziologischen Forschung der DDR sind verschiedene Richtungen zu erkennen: theoretische Musiksoziologie bis hin zur informations- und systemtheoretischen Modellierung (Kaden) und Untersuchungen zur Erhebungsmethodologie (Niemann, Kluge), ideologisch intendierte Sozialgeschichte (E.H.Meyer) und repräsentative Erhebungen ,für den Dienstgebrauch' des Rundfunks und des Zentralinstituts für Jugendforschung. Diesen und anderen Richtungen liegen zum Teil völlig konträre Konzeptionen zugrunde. Für die Analyse der einzelnen Ansätze wurden mehrere unveröffentlichte Quellen, so Dissertationen und Forschungsberichte mit den Vermerken "vertraulich", aufgearbeitet.
Der Behandlung der ostdeutschen Musiksoziologie ist die der sowjetischen vorangestellt. Einige Vorurteile, wie die Bezeichnung "vulgär" hinsichtlich der Theorien der 1920er Jahre oder die Vorstellung des "Stillstands" der Musiksoziologie zwischen 1930 und 1960, wurden dabei widerlegt. Durch den Vergleich beider Länder konnte der Frage nach dem Überwiegen von ideologischen oder kulturellen Bestimmungsfaktoren in der Fachentwicklung nachgegangen werden.