Besprechung vom 22.03.2018
Die Region ist mit dabei
"Frankfurt liest ein Buch": 120 Veranstaltungen zu "Das siebte Kreuz" von Anna Seghers
Als sie die ersten Pläne für ihr neues Buch macht, irrt Anna Seghers sich nur in der Seitenzahl. 300 Seiten hat sie sich vorgenommen, am Ende werden es mehr. Nicht geirrt hat sie sich in dem, was das Buch ist. "Spannend und bunt und vielfältig" solle es werden, schreibt sie einem Korrespondenzpartner. Das ist sie dann auch geworden, die Geschichte des Häftlings, der 1937 aus einem Konzentrationslager bei Worms flieht und alte Freunde in Mainz und Frankfurt um Hilfe bittet, ehe er den Rhein hinab nach Holland entkommt. Ein Buch, von dem Carl Zuckmayer, wie Seghers ins Exil gezwungen und Mainz, der Heimatstadt der Schriftstellerin, ebenso fest verbunden wie sie, später sagte, es sei das einzige Werk der Exilliteratur, in dem aus der Ferne ein "menschlich glaubhaftes Bild des verfinsterten Deutschland" gelungen sei.
Während sie "Das siebte Kreuz" verfasst, lebt Seghers in Frankreich, versucht, aus Europa zu entkommen, hat kaum Geld, weiß nicht, wie sie ihre Kinder ernähren soll und macht sich Sorgen um die Familie in Deutschland - ihre Mutter wird später deportiert und ermordet. Aber 1942 erscheint "Das siebte Kreuz" überaus erfolgreich auf Englisch in den Vereinigten Staaten und in einem kleinen Exilverlag in Mexiko auch auf Deutsch. Um viele biographische und literarische Details dieser Art wird es gehen, wenn der Roman vom 16. bis 29. April im Mittelpunkt von "Frankfurt liest ein Buch" steht, dem erfolgreichen Lesefest, das in diesem Jahr zum neunten Mal stattfindet. Höchst, Bockenheim, Niederrad, die Riederwaldsiedlung - überall dort, wo Georg Heisler im Roman vorbeikommt, wird gelesen. Die genaue Verortbarkeit der Ereignisse rücke dem Leser das Grauen des Geschehens nahe, sagte Frankfurts Kulturdezernentin Ina Hartwig (SPD) bei der Vorstellung des Programms: "Umso wichtiger ist es, dass Frankfurt nicht alleine liest."
Erstmals dehnt das Festival sich in die Region aus. Mainz liest mit, aber auch an anderen Orten der von Seghers geliebten Landschaft rund um Rhein und Vordertaunus gibt es Veranstaltungen. Rund 120 Termine verzeichnet das Programm, von der Eröffnung in der Deutschen Nationalbibliothek, zu der Pierre Radványi erwartet wird, der 92 Jahre alte Sohn der Autorin, bis zur Abschlusslesung mit Gudrun Landgrebe. Dazwischen gibt es Auftritte von Robert Stadlober und Martin Wuttke, Ausstellungen, Exkursionen und die Verfilmung mit Spencer Tracy. Dass es sich um eine Art Heimkehr handelt, führte Constanze Neumann aus, Verlagsleiterin Literatur bei Aufbau, wo das Buch nach dem Krieg erschien und bis heute geführt wird. Sie berichtete von einem Gespräch Radványis mit seiner in Ost-Berlin lebenden Mutter kurz vor ihrem Tod. Um Lachse ging es, von denen man sagt, sie kehrten zum Sterben in den Fluss ihrer Geburt zurück. "Ich würde so gerne ein Lachs sein", sagte Seghers. Nun kommt zumindest das Buch zu Besuch.
FLORIAN BALKE
Das Programm des Festivals findet sich im Internet unter www.frankfurt-liest-ein-buch.de.
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