Besprechung vom 01.11.2021
Tod in der Vorortwelt
Krimis in Kürze: Tuomainen, McLean und Tanja Weber
Blurbs sind eine immer leicht inflationäre Währung. Aber wenn der finnische Regisseur Aki Kaurismäki über das Buch seines Landsmanns Antti Tuomainen sagt, es sei "einfach großartig", und wenn der Krimiautor Jan Costin Wagner zusammen mit seiner Frau Niina Katariina das Buch übersetzt hat, ist das Grund genug, das Urteil zu prüfen. "Der Kaninchen-Faktor" (Rowohlt, 352 S., br., 16,- Euro) ist zwar nicht so lakonisch wie ein Kaurismäki-Film, aber sein Humor ist eher von der schwärzeren Sorte.
Der Roman handelt vom Versicherungsmathematiker Henri, für den das Leben eine Gleichung mit zu vielen Unbekannten ist. Henri erbt von seinem verstorbenen Bruder ausgerechnet einen Abenteuerpark. Das klingt nach ein bisschen viel Konstruktion, lässt sich aber mit einem kuriosen Todesfall ziemlich gut an, bei dem das Ohr eines Riesenhasen im Park eine Schlüsselrolle spielt.
Der pedantische Henri entdeckt nicht nur hässliche finanzielle Unregelmäßigkeiten in der Buchführung des Parks, sondern im Laufe des Geschehens auch die Liebe zu einer Parkmitarbeiterin und Künstlerin mit etwas dubiosen Kontakten. Und er muss all seine mathematischen Fähigkeiten einsetzen, um mit den kriminellen Gläubigern des Bruders fertig zu werden. Das liest sich, versetzt mit etwas Schopenhauer und Finanzmarkttricks, sehr unterhaltsam, zumal auch der Riesenhase noch einmal zum Einsatz kommt.
"Cordie" (Polar, 377 S., br., 15,- Euro) von Felicity McLean ist nicht unbedingt ein klassischer Krimi, sondern eher Gespenster- und Coming-of-Age-Geschichte. Seine Qualität schmälert das nicht. Im Gegenteil. Tikka, die Icherzählerin, die ihre Eltern in der australischen Heimat besucht, lässt ein Ereignis aus ihrer Kindheit auch nach zwanzig Jahren nicht los: das Verschwinden dreier Schwestern aus der Vorortwelt. Eine wurde später tot aufgefunden, von den beiden anderen fehlt jede Spur.
Vor allem Cordie, die hübscheste der drei Töchter eines Predigers, glaubt Tikka immer wieder zu sehen, in der Stadt, im Bus - und dann löst das Bild sich wieder auf. Felicity McLean schreibt eine klare, anschauliche Prosa, sie spielt mit Motiven aus Joan Lindsays "Picknick am Valentinstag", und sie wechselt geschickt zwischen Rückblenden und Tikkas Gegenwart. So fällt Licht auf die Vorgeschichte des Verschwindens, es werden Fakten und Gründe erkennbar, ohne dass sich eine komplette Rekonstruktion ergäbe. Denn es geht auch nicht um Aufklärung eines Falls, sondern darum, dass Tikka sich am Ende befreit: "Nun erkannte ich es: Niemand wird es je wirklich wissen."
Alles andere als ein üblicher Krimiplot erwartet einen auch in Tanja Webers "Betongold" (Hoffmann und Campe, 240 S., geb., 20,- Euro), obwohl ein frühpensionierter Mordkommissar dabei ist. Es ist eher ein München-Roman, genauer gesagt: ein Obergiesing-Roman, weil sie da alle herkommen, sich seit der Kindheit kennen und immer noch dort wohnen: der Stani, der Smokey, der Moni. Dann liegt der Stani, ein Strizzi, tot in der Baugrube - ein Sturz, ein Mord? Smokey, der Ex-Kommissar, will es wissen. Er quält sich mit Morbus Bechterew, er nennt ihn "den Russen", der ihn zum gebückten Gang zwingt. Und sie nennen ihn "Smokey", weil er aus therapeutischen Gründen Cannabis raucht.
Man muss sich ein wenig daran gewöhnen, dass alle Vornamen mit dem bestimmten Artikel versehen werden, aber merkt schnell, dass es für Klang und Rhythmus von Webers Prosa genau das Richtige ist. Sie hat eine schöne, leicht melancholische Tonlage gefunden, die nah an der gesprochenen Sprache ist, ohne sich durch Mundart oder Slang anzubiedern. Und es ist erstaunlich, wie gut dieser Sound zur Gemütslage der Männer jenseits der sechzig passt.
"Hier fehlt etwas und da, aber es ist alles, wie es früher war, einfach nur weniger", heißt es einmal unübertroffen knapp über Smokey. Es gibt auch ein paar Rückblenden, aus denen klar wird, wie Stani zu Geld kam und sich verzockte oder Smokey von seiner Frau verlassen wurde. Es gibt am Ende auch einen Täter und einen, der sich opfert. Aber das ist gar nicht so wichtig, das muss halt sein. Wichtig ist die Stimmung, ist die Atmosphäre des Buches, die im letzten Satz auf den Punkt kommt, den man ruhig verraten kann: "Heim nach Giesing." PETER KÖRTE
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