Besprechung vom 02.03.2020
Mein ist die Rache, spricht der Wolf
Jens Henrik Jensen schickt seinen Jägersoldaten Niels Oxen abermals ins Feld
Never change a winning team. Eigentlich hatte es geheißen, nach drei Bänden sei Schluss, der vierte Band werde von etwas ganz anderem handeln. Aber nun konnte der 1963 geborene dänische Thrillerautor und vormalige Journalist Jens Henrik Jensen der Versuchung nicht widerstehen. Er hat der "Oxen"-Trilogie einen vierten Band spendiert. Und das ist keine durchgehend gute Nachricht.
Doch von vorne: Niels Oxen, der am höchsten dekorierte Elitesoldat seines Heimatlandes - Jugoslawien-Krieg, in Afghanistan siegreich gegen eine Übermacht der Taliban -, ist auch nach drei Fällen im Auftrag des mittlerweile pensionierten Polizeigeheimdienst-Chefs Mossman noch nicht wieder in der bürgerlichen Welt angekommen. Zwar versucht er, eine Beziehung zu seinem vierzehnjährigen Sohn Magnus aufzubauen, aber traumatisiert, wie er ist, hat er emotional doch erhebliche Defizite. Im dritten Band "Gefrorene Flammen" (F.A.Z. vom 7. Januar 2019) gelang es dem gegensätzlichen Duo mit Hilfe der Agentin Margarethe Frank, den sogenannten Danehof auszuheben, einen geheimen Staat im Staat, der seit dem Mittelalter die Geschicke Dänemarks lenkte. Wer sich hier an Stieg Larssons "Millennium"-Trilogie erinnert fühlt, liegt richtig - dort gab es mit der "Sektion" einen ähnlichen Geheimbund.
Der Danehof ist also Geschichte, aber aus seinen Ruinen taucht ein "Schatten" auf. Der schlaue Mossman hat nicht alle Akten vernichtet, sondern als Pensionist weitergesucht - nach einer Organisation namens Lupus, die Selbstjustiz übt, wo der Rechtsstaat vermeintlich zu zögerlich agiert. Um einen solchen Fall könnte es sich bei Idris Nassar handeln, einem gewalttätigen Muskelpaket, dem man Knie und Arme zerschossen hat. Ein Racheakt, kaltblütig und professionell. Die Ermittlungen von zwei normalen Kriminalern begleiten als Seitenstrang den Handlungskern rund um Niels Oxen. Am Ende folgt alles dem Befehl Mossmans: Findet Lupus. Die Spur führt nach Jütland in einen heruntergekommenen Hof, auf dem ein ehemaliger Staatssekretär wohnt, von dem seit Wochen jede Spur fehlt. Echte Wölfe spielen auch eine Rolle, aber eher als Garnierung. Denn auch sie entziehen sich der Beobachtung, wenn auch aus anderen Gründen.
Jensen versteht es, Spannung aufzubauen und zu halten, ohne allzu sehr auf platte Cliffhanger zu schielen. In hundert durchschnittlich sechs Seiten langen, durchnummerierten Kapiteln bespielt er routiniert diverse Perspektiven, darunter eine Rückblende ins Jahr 1963, die von der Entführung und Vergewaltigung der schönen Agnethe handelt. Das Mädchen wird zwar freigelassen, gerettet werden kann es nicht mehr. Jensen schreibt Gebrauchsprosa ohne literarische Ambition, an entschlackten Sätzen hat er kein Interesse. Sein Publikum stellt er vor keine unüberwindlichen Herausforderungen, und die Überlänge ist Teil des Verkaufskonzepts - viel Buch fürs Geld. Jensens deutsche Gesamtauflage lag vor Auslieferung des vierten Bandes bei 350 000 Exemplaren, der ebenfalls beim Deutschen Taschenbuchverlag erscheinende dänische Auflagenmillionär Jussi Adler-Olsen ist ihm ein gutes Stück voraus.
Auf Weinetiketten steht: Enthält Sulfite. Hier fehlt der Hinweis: Enthält Redundanzen. Denn wie oft fällt Lupus als "Schatten" in Mossmans Welt, wie oft lesen wir von dessen anglophilen Neigungen, leiden mit Frank am Verlust ihrer Schweizer Uhr, und mit wie vielen Superlativen wird dem Leser die Tapferkeit des Jägersoldaten eingetrichtert. Im letzten Drittel legt der Roman dennoch an Raffinement zu. Die Auflösung versöhnt mit mancher durchlittener Durststrecke. Und wer nicht mehr von Oxen lassen kann, muss sich vermutlich keine Sorgen mehr machen, dass da nicht noch ein fünfter Band möglich wäre. Und ein sechster.
HANNES HINTERMEIER
Jens Henrik Jensen:
"Oxen. Lupus". Thriller.
Aus dem Dänischen von
Friederike Buchinger.
dtv Verlagsgesellschaft,
München 2020.
607 S., br.
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