Besprechung vom 01.03.2021
Über Banden
Krimis in Kürze: Murath, Heimbach und Petra Johann
Ab und zu hört man sogar in Corona-Zeiten noch von den Aktivitäten der berüchtigten Berliner Banden und Clans. Und erinnert sich dann, dass das organisierte Verbrechen in der Hauptstadt eine handfeste Größe ist. So präsent und schillernd, dass es immer wieder fiktionale Verarbeitungen wie die Serie "4 Blocks" inspiriert. Auch für Clemens Murath, der zahlreiche "Tatort"- und "Polizeiruf"-Folgen und andere Kriminalfilme geschrieben hat, sind die Clans von Berlin ein erstklassiger Rohstoff.
Sein erster Roman "Der Libanese" (Heyne Hardcore, 480 S., br., 16,- [Euro]) zeigt, dass gute Geschichten nicht allein von ihren dokumentarischen Qualitäten leben. Im Zentrum steht der Polizist Frank Bosman, der seinen eigenen Regeln folgt, der eine gewisse Mimikry an die Praktiken der Verbrecher für geboten hält und für den der Zweck, den libanesischen Aziz-Clan zur Strecke zu bringen, ziemlich viele Mittel heiligt.
Murath hat die verschiedenen Stränge der Handlung geschickt verknüpft, er übertreibt es manchmal mit dem forciert harten Jargon in den Dialogen, aber er hat dafür, was den meisten deutschen Krimiautoren fehlt: einen bösen schwarzen Humor, der sich vor allem bewährt, wenn Bosmans Schwager, ein windiger Filmproduzent, Opfer einer völlig dilettantischen, fast slapstickartigen Entführung durch drei Loser-Typen wird. Und Murath weiß auch, dass ein bestimmtes Maß an Grausamkeit am besten durch comic relief aufgefangen wird und dass ein paar gezielte dramaturgische Überhöhungen wie im Kino unterhaltsamer sind als das Grau in Grau des Realismus.
Nicht nur Regionen, auch historische Epochen werden von den Krimiautoren dieser Welt immer weiter okkupiert. Deutschland im Jahr 1920, kurz nach dem Kapp-Putsch, ist da noch ein vergleichsweise unerschlossenes Terrain. Jürgen Heimbach hat schon 2019 in "Die Rote Hand" eine gute Balance zwischen gründlicher historischer Recherche und einer spannenden Story gefunden. "Vorboten" (Unionsverlag, 224 S., br., 18,- [Euro]) ist die Geschichte des Heimkehrers Wieland Göth vor dem Hintergrund der französischen Besatzung in Rheinhessen.
Göths Vater ist moribund, der Bruder schwerstbehindert aus dem Krieg zurückgekommen, die kleine Schwester verschwunden, angeblich umgebracht von einem russischen Zwangsarbeiter. Der heimliche Herrscher über das Dorf, den man den "Grafen" nennt, widmet sich deutschnationalen Sammlungsaktivitäten.
Heimbach hat das inszeniert wie einen Western: der verlorene Sohn mit der ungewissen Vergangenheit, die Frau, die er mal geliebt hat, die Schwester, die es zu rächen gilt, die Gemeinschaft, die sich vom Krieg nicht erholt hat, der reiche Pferdezüchter und seine Handlanger. Lakonisch erzählt, frei von Stereotypen in der Zeichnung der Figuren, versucht Heimbach sich an einem Szenario, das ein wenig dem Vorgehen Michael Hanekes in dessen Film "Das weiße Band" ähnelt: Er zeigt die lange Inkubationszeit des Nationalsozialismus. Am Ende verabschiedet sich einer nach München, er hat von einem gewissen Hitler gehört.
Nicht jedes Vorurteil ist notwendig borniert. Oft ist es eine Hypothese, die sich dann bestätigt. Wenn eine promovierte Mathematikerin Kriminalromane schreibt, ist anzunehmen, dass sie es mit der Logik sehr genau nimmt. Das trifft bei Petra Johann zu. "Die Frau vom Strand" (Rütten & Loening, 456 S., br., 16,99 [Euro]) ist wasserdicht konstruiert. Eine Tote am Strand von Rerik, nördlich von Wismar, ihre verzweifelte Ehefrau, eine spurlos verschwundene Fremde, eine Ermittlerin, die in ihrer Freizeit Computerspiele spielt, die die Verstorbene mitentwickelt hat; mehrere Perspektiven auf das Geschehen, dominant dabei die Ich-Erzählung der Witwe, die sich zwischendurch direkt an die Leser wendet.
Das sieht aus wie eine komplizierte Gleichung mit vielen Unbekannten. Und Petra Johann ist bemüht, nach und nach alle Hypothesen und Vermutungen zu falsifizieren, bis man ratlos ist. Dieses Verfahren hat in Thrillern seinen unbestreitbaren Reiz, aber auch seine Fußangeln. Denn irgendwann, wenn auch die letzte logische Option erschöpft scheint, hilft aus den Aporien nur noch eine Lösung, die aus der immanenten Entwicklung der Erzählung nicht zwingend hervorgeht. So schlägt die Undurchdringlichkeit des Problems um in die Unwahrscheinlichkeit der Lösung. Was am Ende zwar nicht gegen die Gesetze der Logik verstößt, aber doch recht unbefriedigend wirkt.
PETER KÖRTE
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