Besprechung vom 14.10.2023
Spart euch sexistische Witze
Nichts gegen Klischees: Stefanie Lohaus zeichnet die neuere Geschichte des Feminismus nach.
Von Anna Vollmer
Von Anna Vollmer
Stefanie Lohaus ist, so schreibt sie gleich zu Beginn ihres neuen Buchs, "eine wütende Feministin". "Was auch sonst?", fügt sie hinzu, angesichts der Ungerechtigkeiten, mit denen Frauen, trotz der großen Errungenschaften, die der Feminismus gebracht hat, weiterhin zu leben hätten. Sie erzählt von beidem, den Ungerechtigkeiten und den Errungenschaften. Und selbstbewusst setzt sie den Ton: "Die wütende Feministin ist ein Klischee. Doch ich habe kein Problem damit, dieses Klischee aufzurufen."
Lohaus zeichnet die neuere Geschichte des Feminismus nach, nicht immer ganz so wütend wie zu Beginn angekündigt, dafür oft sogar versöhnlich. Sie wurde 1978 in Dinslaken als Tochter einer jungen, arbeitenden Mutter geboren. Nach ihrem Studium in Lüneburg gründete sie 2008 gemeinsam mit Sonja Eismann, Chris Köver und Margarita Tsomou das "Missy Magazine", bei dem sie bis 2018 als Redakteurin arbeitete und dessen Herausgeberin sie bis heute ist.
In der Universität und bei ihrer Arbeit kam sie mit den Diskussionen der feministischen Bewegung in Berührung, mit den Streitthemen Pornografie, Prostitution und Transrechte etwa, bei denen sich Feministinnen oft uneinig sind. Lohaus wehrt sich gegen ideologische Gräben und plädiert für Zusammenarbeit und intergenerationelle Solidarität. Selbstkritisch schreibt sie über ihre blinden Flecken, darüber, wie weiß und wenig divers das "Missy Magazine" in seiner Anfangszeit war, wie die Redaktion lange die jüdische Perspektive zu wenig berücksichtigte.
Das Buch erhält seine Struktur durch Lohaus' Werdegang. Jedem Jahrzehnt seit den Achtzigern ist ein Kapitel gewidmet, das sowohl die Situation des Feminismus als auch Lohaus' Biographie beleuchtet. Das ist mitunter etwas verwirrend. So behandelt das Kapitel über die Nullerjahre Schwangerschaftsabbrüche, weil die Autorin eben zu dieser Zeit eine Abtreibung hat vornehmen lassen. Dabei stammt die damals gültige Gesetzgebung aus den Neunzigern, die Streichung des Paragraphen 219a wiederum fällt ins Jahr 2022. Er hatte die "Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft" verboten. Bei Verstoß drohte eine Geld- oder Freiheitsstrafe.
Lohaus liefert keine grundlegend neuen Erkenntnisse, sondern einen historischen, um Vermittlung bemühten Überblick. Da geht es etwa um den nicht selten belächelten Begriff "Mikroaggressionen". Der Autorin zufolge habe er durchaus seine Berechtigung, gehe es doch darum, auszudrücken, dass vermeintliche Nebensächlichkeiten, etwa der sexistische Witz am Arbeitsplatz oder der aufdringliche Typ in der Kneipe, in der Summe dazu führen können, dass sich Frauen nicht in gleicher Weise ernst genommen fühlen wie Männer. Nicht alles, was nicht justiziabel ist, ist kein Problem.
Nur an wenigen Stellen verallgemeinert Lohaus ihre eigene Überzeugung und wird damit ungenau. Das Gendern, so schreibt sie, gegen das sich zunächst alle außerhalb der feministischen Szene gewehrt hätten, habe sich nun an vielen Orten durchgesetzt. Als Gegner erwähnt sie lediglich Friedrich Merz und Markus Söder, denen sie damit einen Schulterschluss "zwischen konservativen und rechten Kräften" unterstellt. Hier tut die Autorin so, als wäre eine kritische Haltung zum Gendern unter linksliberalen Zeitgenossen nicht denkbar. Das nimmt der Argumentation insgesamt aber nicht ihre Berechtigung. Der Feminismus hat viel erreicht. Eine Gleichstellung von Männern und Frauen gibt es deshalb noch lange nicht.
Stefanie Lohaus: "Stärker als Wut". Wie wir feministisch wurden und warum es nicht reicht.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2023. 272 S., geb.,
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