Ein Fremder, ein Dorf, ein Kind. Und eine Suche, die niemanden verschont.
Cal Hooper, ehemaliger Cop aus Chicago, hat sich in den Westen Irlands geflüchtet. Die Natur scheint friedlich, im Dorf nimmt man ihn freundlich auf. Da springt sein innerer Alarm an: Er wird beobachtet. Immer wieder sucht ein Kind seine Nähe. Auf den umliegenden Farmen kommen auf seltsame Weise Tiere zu Tode. Stück für Stück gerät Cal in eine Suche, die ihn tief in die Dunkelheit führt.
Eine Geschichte von mächtiger Spannung und Schönheit; ein literarischer Thriller und ein beeindruckender Roman über Familie, Gemeinschaft, die Natur und die Gefahr, die von den Menschen ausgeht. Der neue große Roman der renommierten Bestseller-Autorin Tana French.
Besprechung vom 01.11.2021
Kommt ein Fremder ins Dorf
So beschaulich ist diese Insel gar nicht: Tana French entdeckt die Abgründe des irischen Landlebens
Florenz, Washington, Malawi, Rom: 1973 in Vermont geboren, zieht die Amerikanerin Tana French, Abkömmling einer irisch-amerikanisch-russisch-italienischen Familie als Kind und Jugendliche mit ihren Eltern durch die Welt. Als sie im Alter von siebzehn Jahren 1990 zum Studium ans Trinity College nach Dublin kommt, wird sie ortsfest - und bleibt es bis heute. Nach einer Laufbahn als Schauspielerin findet sie zum Schreiben, inzwischen gilt sie trotz des amerikanischen und italienischen Passes als irische Autorin. Mit sieben Millionen verkauften Bänden und Übersetzungen in siebenunddreißig Sprachen gehört sie zur oberen Etage internationaler Markenautoren. Und doch zu einer kleinen Gruppe, die sich nicht um Genre-Regeln kümmert: French schreibt nicht plotgetrieben, sie entwickelt die Handlung aus den Charakteren heraus, und das bedeutet manchmal eben, Umwege zu nehmen.
Debütiert hat sie vor vierzehn Jahren mit "In the Woods" (deutsch "Grabesgrün", 2008). Es folgten fünf Bände rund um den Dublin Murder Squad, mit der ungewöhnlichen Technik, nicht auf die immergleichen Ermittler zu setzen, sondern im jeweiligen Folgeband eine Nebenfigur des Vorgängerromans zur Hauptfigur zu machen. Vor drei Jahren dann der erste Roman außerhalb der Serie ("Der dunkle Garten"), und nun der erste, der in der dritten Person erzählt ist und der keinen irischen Protagonisten hat: Kommt ein mittelalter Amerikaner nach Irland, genauer in den rauen Westen der Insel.
Calvin Hooper, Südstaatenjunge und ehemaliger Cop aus Chicago, wurde von seiner Frau aus sehr komplizierten Gründen verlassen, das Verhältnis zu seiner Tochter ist seither so lala. Cal hat sich im fiktiven Dorf Ardnakelty eine Bruchbude gekauft und sucht nach fünfundzwanzig Dienstjahren einen Neuanfang mit Selbstbesinnung und Angeln. Ein Brennen im Nacken verrät ihm allerdings, dass er bei seinen Renovierungsarbeiten beobachtet wird, und zwar nicht nur von den Krähen, die French mit Hingabe beschreibt. Ein dreizehnjähriges Kind namens Trey schleicht sich beinahe wortlos in sein Leben, es entstammt einer zerrütteten Familie und ist hart geworden und verzweifelt, weil sein älterer Bruder Brendan verschwunden ist.
Die Polizei ist offiziell gar nicht erst informiert worden, sie würde ohnehin nichts unternehmen. Deshalb soll Cal den Fall lösen. Einmal Bulle, immer Bulle? Widerwillig macht er sich an die Aufklärung, dabei auf Schritt und Tritt beobachtet von den Dörflern. Vor allem sein nach außen jovialer, letztlich aber undurchsichtiger Nachbar Mart scheint ihm stets zwei Züge voraus zu sein. Obendrein soll Cal mit einer selbstbewussten Witwe verkuppelt werden, die das Spiel der Verlockung auf eine unterkühlte Weise beherrscht.
In epischer Ruhe pinselt French das Panorama einer Dorfgemeinschaft und ihrer Psychodynamiken. Cal hat darin die Rolle des Ethnologen, der beobachten, schweigen und freundlich sein muss, wenn er als Fremder Aufnahme finden will - was im Schöpfungsplan nicht vorgesehen ist. Die Autorin erzählt diese Geschichte nicht in der Tradition des Whodunit, sondern der des Westerns: Ein einsamer Cowboy kommt in die Stadt und möchte die Gerechtigkeit wiederherstellen. Dem Houston Chronicle hat Tana French berichtet, sie habe in der Schreibphase zum ersten Mal Western gelesen, und zwar Larry McMurtrys "Lonesome Dove", Charles Portis' "True Grit" und Patrick deWitts "The Sisters Brothers". Die ersten beiden Titel sind nicht ins Deutsche übersetzt, deWitt gab es zuletzt als Goldmann-Taschenbuch. Die "moralische Ambiguität" der Charaktere habe sie fasziniert, und eine solche wird man auch ihren Romanfiguren attestieren dürfen.
Dabei gerät ihr ausgerechnet der Protagonist Cal manchmal gefährlich nah an die Klippe zum Gutmenschen. Er scheint stets nur noch das menschlich Noble zu wollen, vielleicht weil ihn die Gespenster des Berufslebens jagen, die "unauflösliche Gewissheit, dass etwas Schlimmes auf ihn zurollte, etwas Unabwendbares und Unerbittliches wie ein Hurrikan oder ein Amoklauf". Seine Rolle bei einer Beinahetötung eines schwarzen Jugendlichen empfand er als so unrühmlich, dass er den Dienst quittierte - weil er sich und seinem Job nicht mehr traute. So treffen Echos des Themas Polizeigewalt in den USA auf menschenverachtende Praktiken des Drogenhandels im Hinterland Irlands.
Am Ende geht es darum, wer die Macht hat über die Ordnung im Dorf, wer bestimmt, nach welchen Regeln das Leben in Ardnakelty gespielt wird. Das hat, trotz mancher retardierender Elemente, eine überzeugende suggestive Kraft. HANNES HINTERMEIER
Tana French: "Der Sucher". Roman.
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.
Scherz Verlag, Frankfurt am Main 2021.
495 S., geb.
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