Besprechung vom 04.10.2021
Hässliche Kontinuität
Krimis in Kürze: Garry Disher, Chris Offutt und Andreas Pflüger
Wyatt hat keinen Vornamen und keinen festen Wohnsitz. Er ist "ein Chamäleon, sozial gesehen". Aber er hat Prinzipien und ein Motto: "Plane fürs Optimum, erwarte das Schlechteste, beachte die Fluchtwege." Wyatt ist ein Dieb und die Hauptfigur von bisher acht Romanen des großen australischen Autors Garry Disher. "Moder" (Pulp Master, 300 S., br., 14,80 Euro) ist Wyatts neunter Auftritt, und man kann das Buch auch lesen als Porträt des Profis als alternden Diebs. Von einem Kontakt im Gefängnis bekommt Wyatt einen Tipp. Keiner der üblichen Jobs. Diesmal geht es um einen betrügerischen Finanzberater, der mit dem Ponzi-Schema gearbeitet hat, insolvent ist und abhauen will, weil ihm eine Klage droht. Aber er hat noch einiges auf die Seite gebracht. Seine Gerissenheit und sein Trickreichtum führen sogar Wyatt an seine Grenzen.
Disher erzählt das in dem lässigen Sound, der die Wyatt-Bücher auszeichnet, er wechselt geschickt und spannungssteigernd die Perspektiven und inszeniert ein ziemlich bizarres Finale im Pazifik. Die beste Pointe jedoch ist, wenn ein Kontaktmann in der Gefängnisbibliothek mit einem iPhone versorgt wird - es findet sich in einem Hohlraum zwischen den Seiten 100 und 300 von Habermas' "Theorie des kommunikativen Handelns".
Chris Offutt kommt aus Kentucky, sein Buch heißt im Original "The Killing Hills", und man liegt nicht falsch, wenn man "Unbarmherziges Land" (Tropen, 224 S., br., 15,- Euro) als eine ungemütlichere Spielart des Heimatromans versteht. Das ländliche Kentucky ist kein Ort, wo man viel auf Staat und Polizei gibt, sie sind notwendige Übel, und manche Konflikte regelt man lieber gleich selbst unter Umgehung des staatlichen Gewaltmonopols.
Ein weiblicher Sheriff hat hier einen sehr undankbaren Job. Es hilft Linda Hardin zunächst nicht, dass ihr Bruder Mick Kriminalermittler bei der US Army ist; er hat genug Probleme mit seiner schwangeren Frau. Offutt hat den Mordfall eingebettet in den sozialen und natürlichen Mikrokosmos des Countys, er schreibt eine klare, knappe Prosa. Dass Land und Leute ihm vertraut sind, heißt ja nicht, dass er seine Heimat verklärte. Er weiß, was gespielt wird, er versteht es, und das ist eine gute Voraussetzung für einen Plot, in dem der erfahrene Ermittler Mick für den Fall wie für seine private Misere eine unkonventionelle Lösung findet.
Andreas Pflüger hat dank seiner Trilogie um die blinde Ermittlerin Jenny Aaron eine stabile Fangemeinde, er ist lange im Geschäft und hat auch Drehbücher für mehr als zwanzig "Tatort"-Folgen geschrieben. "Ritchie Girl" (Suhrkamp, 464 S., geb., 24,- Euro) ist ein historischer Spionageroman, der im Deutschland des Jahres 1946 spielt. Von Ferne erinnert er an Joseph Kanons "The Good German", nur dass es hier eine 1937 aus Berlin geflohene Deutschamerikanerin ist, die als Besatzungsoffizierin zurückkehrt und so verzweifelt nach guten Deutschen sucht wie nach den zehn Gerechten in Sodom.
Pflüger hat aufwendig recherchiert, das wird schnell sichtbar, er hat sein eigenes Amalgam aus Fakten und Fiktion verfertigt, das bis auf wenige Ausnahmen überzeugt. Dulles und Gehlen treten auf, namhafte Nazis und die Ankläger von Nürnberg. Es geht um Fragen von Moral, Schuld und Scham, sie werden manifest in der Figur der Paula Bloom, die weiß, dass ihr 1937 von der SA ermordeter Vater Geschäfte mit Nazis und deutschen Firmen gemacht hat, und wissen will, was ihr Geliebter getan hat. So wird eine hässliche Kontinuität zum Leitmotiv - zwischen den einträglichen Amerika-Geschäften deutscher Firmen im Nationalsozialismus und der schnellen Kooperation mit und Amnestie von nützlichen Nazi-Verbrechern durch die Besatzer.
Pflügers Drehbucherfahrung tut dem harten Stoff gut. Die Kapitel sind hochverdichtete, gut gebaute Szenen: direkt mitten hinein und schnell wieder hinaus. Das sorgt für Tempo und Kompaktheit. Es erfordert Konzentration, weil manchmal die Rechercheergebnisse nur so sprudeln, und so ganz verlässt einen der Eindruck nicht, der Roman sei ein paar Seiten zu lang ausgefallen. Pflügers Prosa ist bildhaft mit leichtem Hang zu Lyrizismen, er spielt mit viel Pedal, aber weil er meist den Ton trifft, ist das eine angenehme Lektüre. Über gängige Krimiprosa ragt das weit hinaus. PETER KÖRTE
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