Besprechung vom 06.06.2024
Die Faszination der privilegierten Welt
Zwei wohlhabende junge Leute und der arme Dritte im Bunde: Johanna Hedmans schwedischer Roman "Das Trio"
Der Ende 2021 in Schweden erschienene Debütroman der 1993 geborenen Johanna Hedman wurde in sehr hohem Ton dort gepriesen; es sei, als würde man der Zukunft der Literatur von Schweden begegnen, befand der Kritiker Alex Schulman nach der Lektüre. Jetzt liegt die deutsche Übersetzung von "Das Trio" vor.
Drei Freunde in ihren Zwanzigern verbringen jede Menge Zeit miteinander: Thora, Hugo und August. Sie hängen in Cafés rum, fahren in Sommernächten Fahrrad ans Wasser, reisen im Frühling auch mal nach Paris. Zum Schluss der Geschichte haben Thora und August gemeinsam ein Kind, und alle drei treffen sich in New York, wohin es Hugo nach dem Studium verschlagen hat. Das Wort Dreiecksgeschichte wird nicht benutzt. Ganz zum Schluss äußert ein Mitstudent die Vermutung, dass die drei in einem "Dreiecksdrama" lebten. Was es insofern trifft, als die Hauptfiguren nie sexuell zu dritt unterwegs sind.
So weit die erzählte Oberfläche des Romans. Hedman erzeugt den Perspektivwechsel auf die Geschichte durch einen einfachen, doch wirkungsvollen Trick - sie wechselt zwischen den Protagonisten als jeweiligen Ich-Erzählern und schafft so eine dichte Vertrautheit zu ihrem Stoff. Der im Übrigen ziemlich gekonnt und erfahrungsgesättigt mit einigen schwedischen Milieus bekannt macht.
Da sind Thora und August aus Familien mit altem Stockholmer Geld - im Falle Thoras richtig viel Geld - und den diesem entsprechenden soziokulturellen Zeichen mit Ferienpalästen in den Schären, Zimmerfluchten in den besten Lagen Stockholms und Interesse der in Schweden besonders dämlichen Klatschpresse am Familiengeschehen. Und da ist Hugo aus akademisch-proletarischer Familie mit engerer finanzieller Assiette, mit der Notwendigkeit, neben dem Studium zu jobben und sich um Auslandsstipendien zu bemühen. Und Hugo ist fasziniert von der privilegierten Welt, in die er hineingeraten ist. Die kleineren sozialen Konflikte, die dieser Konstellation geschuldet sind, werden immer wieder eingehend auserzählt, was dem Roman eine interessante soziokulturelle Färbung gibt.
Im Gegensatz dazu stehen die langen Passagen, die sich mit den Gefühlswelten der drei (und auch einiger Nebenfiguren) eher abmühen, als dass jene adäquat erzählt würden. Die beiden Männer gehen phasenweise mit Thora ins Bett, zwischendurch gibt es auch ein homosexuelles Intervall Augusts. Wie man sich eben so fühlt und "wie sich das jeweils anfühlt", wird ansatzweise beschrieben, aber leider nicht erzählt in dem Sinne, dass die Figuren erzählend geführt würden und ihre Handlungen, Begegnungen und so weiter in dem Maße für sich selbst sprechen würden, dass eine tatsächliche Erzählung entsteht. Das fließt dahin und liest sich weg. Auf keinen Fall uneben, aber doch so, dass an keiner Stelle der Eindruck bliebe, man hätte es mit dem großen Wurf einer Geschichte zu tun.
So bleibt dem Leser auch der Kern des Geschehens, warum denn diese drei jungen Leute sich so derart zueinander hingezogen fühlen, dass sie phasenweise Bett und Tisch teilen, weitgehend verborgen - es ist eben so. Noch nicht einmal die Ansätze von Eifersucht, von denen dann und wann die Rede ist, finden eine Erklärung in der Erzählung, die der Roman zu bieten sich anschickt. Was sich hingegen vermittelt, ist das Gefühl, einen Roman über Adoleszenz vor sich zu haben, eine Nachricht davon, was alles passieren kann, wenn man das Leben noch vor sich hat, und was man unter dieser Prämisse alles bitterernst zu nehmen hat. Geschildert wird noch: die Schönheit Stockholms, aber auch die Ambivalenz dieser Stadt mit ihrer großen Abhängigkeit von den Jahreszeiten, solchen, in denen der Himmel bis fast Mitternacht tiefblau strahlen kann, und solchen, in denen man vor Kälte und Nässe nur in seine Wohnung flüchten mag.
Die Übersetzung von Paul Berf weist ein paar Nachlässigkeiten auf, die nicht vorkommen sollten. Zum Beispiel ist ein Satz "Bist du im System gewesen?" für einen deutschsprachigen Leser nicht nachvollziehbar, ohne zu wissen, dass die Monopolläden für Alkohol in Schweden "Systembolaget" heißen, was mit einer verpflichtenden Bürokratie in den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts beim Kauf von Alkohol zusammenhängt. Entweder Fußnote oder einfach "Alkoholgeschäft/-laden". Oder "Mensschmerzen", von denen Thora redet, um ihr Unwohlsein zu benennen. Auf Deutsch heißt das "Regelschmerzen". Auf Schwedisch sagt man allerdings "Jag har mens", ich habe Mens, um auszudrücken, dass eine Frau ihre Tage hat. Schließlich die leidigen participia praesentis - auf Schwedisch hat es "studenten" (der Student) noch nicht zu "Der Studierende" geschafft. Die Übersetzung lässt aber weder einen Studenten noch ein Studentenwohnheim mehr zu, das lateinische Partizip Präsens als Grundlage der Wortbildung "Student" ist in vorauseilender und begründungsloser politischer Korrektheit getilgt. "Schad ja nix, aber was soll das", so würde man es in Hamburg sagen. STEPHAN OPITZ
Johanna Hedman: "Das Trio". Roman.
Aus dem Schwedischen übersetzt von Paul Berf. Luchterhand Literaturverlag, München 2024.
448 S., geb.
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