Besprechung vom 15.06.2019
Das Wunder der gemeinsamen Existenz
Wie aus der einstigen Kunst der Krieger ein Mädchenhobby wurde: Jenny Friedrich-Freksa und Juli Zeh dokumentieren ihre Liebe zu Pferden. Manchmal geht den beiden dabei der Gaul durch.
In Deutschland leben rund 1,3 Millionen Pferde und gut drei Millionen Reiterinnen. Ja, Reiter gibt es schon auch, knapp 900 000. Zwei aus der Millionenschar haben nun je ein Buch über Pferde vorgelegt, zwei Frauen, die eigentlich vom Schreiben leben, Jahrgangskolleginnen (1974), Pferdebesitzerinnen, Reiterinnen seit ihrer Kindheit: Juli Zeh, Autorin von "Unterleuten", und Jenny Friedrich-Freksa, Chefredakteurin des Magazins "Kulturaustausch".
Beider Ansatz ist ähnlich: kein umfassendes Fachbuch mit Anatomie und Rassenkatalog, Verhaltenskunde und Reitlehre, sondern ein informationsgesättigter Essay mit autobiographischer Unterfütterung, sozusagen ein Porträt der Autorin als Pferdeverrückte, vom Backfisch bis zur Mittvierzigerin. Auch die Themenkreise überschneiden sich: Pferdeflüstern, moderne Dressur, Mädchensport und historischer Machismo. Mitunter frappieren Übereinstimmungen bis in einzelne Beobachtungen, ja, Formulierungen, über deren Ursprung die Leserin nur spekulieren kann.
Während Friedrich-Freksa drei Seiten Literaturverzeichnis von Freud bis Xenophon anhängt, hält Zeh sich hinsichtlich ihrer Quellen bedeckt, ohne indes vorzugeben, sie hätte keine benutzt. Die "Heeres-Dienstvorschrift 12", aus dem Kavalleriereglement von 1912, die bis heute die Grundlage der Ausbildungsrichtlinien der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN, für Fédération Équestre Nationale) bildet, zitiert jedenfalls auch sie mit Respekt. So richten sich beide Bücher wohl in erster Linie an Pferde-Greenhorns. Einige Grundbegriffe der klassischen Reitlehre - Gangarten und Seitengänge, Anlehnung, Losgelassenheit, Versammlung - werden erklärt, aber vor allem soll die Faszination des Reitens veranschaulicht, das Lebewesen Pferd begreiflich gemacht werden.
Schließlich geht es, wenn es um Pferde geht, sofern man den Klappentexten glaubt, um nichts Geringeres als eine "Liebeserklärung", eine "Liebesgeschichte", ein "Glücksversprechen". Wie es der Stammbuchspruch verheißt, den Juli Zeh an den Anfang stellt: "Das höchste Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde." Um am Schluss festzustellen, es liege "nicht auf dem Rücken von irgendwem", sondern "in der vollkommenen Wahrnehmung des jeweiligen Augenblicks. Im Wunder unserer gemeinsamen Existenz."
Equestrische Stimmungsmalerei ist ein heikles Terrain, und bisweilen geht Jenny Friedrich-Freksa ihr Pegasus bei der Schilderung poetischer Momente durch. Sie beginnt mit der ersten Wiederannäherung an ihren Schimmel nach einem schweren Sturz und wochenlanger Bettruhe und schließt den Bogen mit der Geschichte des Unfalls und dem ersten Ausritt danach, dann erzählt sie noch ergreifend vom Sterben des Tieres Jahre später.
Den kulturgeschichtlichen Rückzug des Pferdes sieht sie positiv, als ein Ende der Massenschlächterei in der Schlacht, der Schinderei in Kohleminen, im Zuggeschirr; dass jeder Gebrauch durch den Menschen, jede Dressur, wie radikale Tierschützer meinen, Quälerei sei, findet sie begreiflicherweise nicht. Freilich: "Pferde sind nicht zum Reiten gemacht." Oder, wie Juli Zeh es formuliert, sie "sind von Mutter Natur nicht dazu gedacht, einen Reiter zu tragen". Deshalb ist die "Gymnastizierung" des Pferdes das Ziel jeder Ausbildung, ein Ziel, das Juli Zeh auch bei noch so idyllischen Geländeritten nicht aus den Augen verliert: Zwar bemüht sie sich "redlich", die "Freuden der Freizeitreiter" zu teilen, aber ihr reiterliches Arbeitsethos scheint dem im Wege zu stehen, wie sie offenbar überhaupt die ehrgeizigere der beiden Reiterinnen ist. Dass die moderne Reiterei nicht mehr dem Prinzip Gehorsam und Unterwerfung folgt, begrüßen beide und können doch nicht verhehlen, dass jemand, der nicht gewillt ist, sich im Sattel durchzusetzen, der sich fürchtet, schon verloren hat. Das Pferd spiegelt in seinem Verhalten sozusagen das Innenleben des Reiters, Unsicherheit wird seismographisch erfasst.
Ihre Erfahrung mit schwierigen Pferden hat beide Autorinnen empfänglich für die Methoden der "Pferdeflüsterer" gemacht, die spätestens seit Robert Redfords Film-Verkörperung eine breite Öffentlichkeit gelehrt haben, dass man mit dem Pferd vor allem, auch vom Boden aus, durch den Körper spricht. "Geplapper" (Zeh) und "gnadenloses Zuquatschen" (Friedrich-Freksa) richten da wenig aus. Natürlich hat Juli Zeh gleich auch die zweijährige Ausbildung zur Pferdeverhaltenstherapeutin absolviert.
Ihre Kollegin unternimmt wiederum eine Exkursion zur Spanischen Hofreitschule nach Wien, wo sie die Hohe Schule der klassischen Reitkunst studiert und von der publik gewordenen Krise dieser nach den Gesetzen des Marktes umgestalteten Institution offenbar nichts wahrnimmt. Ansonsten verstehen sich beide Beobachterinnen der Szene durchaus als kritisch: Während Zeh etwa explizit die "Rollkur" aufs Korn nimmt, die das starke Einrollen des Pferdehalses mit Hilfe von Zügeln bezweckt, kritisiert Friedrich-Freksa das Desinteresse der FN an ihrer nationalsozialistischen Geschichte.
Juli Zeh richtet ihren Blick vom Psychogramm des Fluchttiers, des sanften Riesen, der der Angst gehorcht, auf die Verhaltensbiologie und Typologie der Reitstall-Menschen, eines der amüsantesten Kapitel. Aus eigener Betroffenheit widmet sie sich nicht nur den Pferdefrauen, sondern auch den "Pferdefrauenmännern", die mit einer Obsession zu leben haben, die nicht ihnen gilt: "Manche Pferdefrauenmänner fangen an zu reiten." Die Rezensentin denkt an Karl Kraus, der mit vierzig begann, Reitstunden zu nehmen, um nicht immer stundenlang warten zu müssen, bis seine Geliebte Sidonie von Nádherný von ihren sommerlichen Ausritten zurückkehrt.
Wie eigentlich wurde aus der männlichen Domäne eine Frauensache? Friedrich-Freksa vergleicht Jacques-Louis Davids Napoleon mit Putins halbnacktem Posieren hoch zu Roß - fraglos ein Abstieg, auch ästhetisch. Der militärische, ökonomische und verkehrstechnische Bedeutungsverlust machte das Pferd nach 1945 zum Accessoire, Fortschritt und Macht waren anderswo. Heute gilt die einstige Kunst der Krieger als Mädchenhobby. Beide Autorinnen halten Mädchen, die ihren Ponys "stundenlang Strass-Spangen in die Mähnen flechten" (Friedrich-Freksa), für eine Minderheit, beide orten in der psychoanalytischen Verbindung von Reiten und Sexualität einen latenten Sexismus - als hätte Freud nicht genauso die Männer im Blick gehabt.
Am Ende des ebenso kurzweiligen wie lehrreichen Pas de deux steht die Erkenntnis, dass gerade das Reiten zum Spielplatz für eine "neue Symbiose zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen" (Zeh) taugt. Dass der Umgang mit Pferden "eine Art Gefühlsschule ist" (Friedrich-Freksa). Dass man von ihnen etwas lernen kann über die Nuancen von Nähe und Distanz. Und sogar, dass es, wie Juli Zeh meint, besser ist, "nicht zu viel zu wollen", beim Reiten wie beim Schreiben: "Ich kann einfach sein."
DANIELA STRIGL.
Jenny Friedrich-Freksa: "Pferde". Mit Zeichnungen von Katharina Grossmann-Hensel.
Hanser Berlin Verlag, Berlin 2019. 191 S., geb., 18,- [Euro].
Juli Zeh: "Gebrauchsanweisung für Pferde".
Piper Verlag, München 2019. 222 S., br.
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