Besprechung vom 03.08.2020
Wenn Noir nur Pose ist
Krimis in Kürze: Sven Heuchert, Mons Kallentoft, Lee Child
Es kommt selten vor, dass die Bücher, die diese Kolumne zusammenbringt, mehr verbindet, als dass sie Kriminalromane sind, im weitesten Sinne. Manchmal ergibt sich aber ein Muster, eine kleine Konstellation: zwei Autoren, die das, was sie fraglos können, überreizen; und einer, der unbeirrbar seinem Rhythmus folgt.
In "Alte Erde" (Ullstein, 224 S., geb., 22,- [Euro]) schickt Sven Heuchert uns in die gleiche Gegend, in das gleiche Milieu wie in "Dunkels Gesetz": ins Tal der Abgehängten, der Lebensverlierer, wo Häuser immer schäbig sind oder verfallen und die Natur noch urwüchsig ist. Eine Welt ohne Zukunft, auch wenn dort das Zentrallager eines Logistikkonzerns gebaut wird. Der Plot verknüpft eher locker ein paar Männer und zwei Frauen, eine davon die harte Femme fatale aus dem Noir-Bilderbuch. Da sind zwei Brüder, Rückkehrer der eine, Ausharrer der andere, ein Jäger, der seinen Sohn, und ein alter Landarbeiter, der seinen Job verloren hat.
Heucherts Sound ist düster, die Prosa mit Dialekt und Umgangssprache versetzt. Die Stimmung ist von einem Fatalismus durchzogen, der mal prophetisch angehaucht ist und sich mal krude darwinistisch gibt, wenn die Formel "Fressen und gefressen werden" wiederholt wird wie ein Mantra. Zur Naturwüchsigkeit passt die sprachliche Akribie, mit der Jagen und Töten beschrieben werden - so akribisch, dass der Städter unnötig oft zum Lexikon greifen muss. Die Perspektive wechselt zwischen dritter und erster Person, das macht die Erzählung facettenreich und zerklüftet, verhindert jedoch nicht, dass der Eindruck bleibt, hier werde das Provinz-Noir derart auf die Spitze getrieben, dass es zur bloßen Masche wird.
Trotz aller Unterschiede in Sujet und Stil beobachtet man Ähnliches bei Mons Kallentoft. "Verschollen in Palma" (Tropen, 415 S., br., 15,- [Euro]) ist die Geschichte eines Mannes und seiner Dämonen. Der Schwede Tim arbeitet für eine Detektei auf Mallorca, seit seine Tochter dort vor drei Jahren bei einem Partytrip verschwunden ist. Seine Ehe ist kaputt, seine Jobs bestehen aus der trostlosen Beschattung untreuer Eheleute. Er ist besessen, zerrissen, gequält - nur von allem ein bisschen zu viel.
Auch Kallentoft kann schreiben, bildhaft, expressiv, oft hart am Kitsch und manchmal darüber hinaus. Gekonnt wechselt er mitunter mitten im Satz die Perspektive, überblendet Gegenwart und Erinnerung. Aber auch ihm entgeht, wenn der fiebrige Stil zur Pose erstarrt. Hinzu kommt, dass die Windungen des Plots dann doch zu schlicht und zu abrupt sind, um glaubwürdig zu sein. Und ob ein deutscher Klient Kant heißen muss und die Detektei Heidegger, das ist wohl Geschmackssache.
Jahr für Jahr schreibt Lee Child einen Roman. Der Held, der ehemalige Militärpolizist Jack Reacher, hat eine stabile Fangemeinde auf der ganzen Welt, auch und gerade unter Schriftstellern. Nicht jeder der mittlerweile vierundzwanzig Reacher-Romane (zweiundzwanzig sind übersetzt) ist wirklich gut, aber ihre Ökonomie stimmt immer. "Der Bluthund" (Blanvalet, 448 S., geb., 22,- [Euro]) zeigt Child wieder in Bestform.
Reacher, der amerikanische Archetyp des Loners oder Drifters, bewegt sich diesmal durch den ländlichen Nordwesten, er ist, für seine Verhältnisse, ein wenig angezählt nach einer kleinen Affäre. Ein Ring aus der Militärakademie West Point im Leihhaus macht ihn neugierig. So geraten die Dinge in Bewegung. Der Weg führt in ein Kaff in Wyoming. Er stößt auf eine Lieferkette für Drogen, und wie nebenbei werden da die verheerenden Folgen der Opioid-Krise in Amerika sichtbar, die Spirale aus Profit und Abhängigkeit, das Versagen des Gesundheitssystems. Reacher hat ein paar selbstreflexive Anwandlungen, aber es ist nichts Ernstes, muss man sagen. Die bei Bedarf gewaltbewehrte und analytisch immer stichhaltige Rationalität seiner Problemlösungen ist nicht zu erschüttern.
Aber womöglich wird auch Reacher sich demnächst ändern, denn den fünfundzwanzigsten Roman, der im Herbst auf Englisch erscheint, hat Child zusammen mit seinem Bruder Andrew geschrieben, der künftig die Reacher-Saga ganz allein fortführen soll. Man fragt sich, ob das nun eine gute Nachricht ist.
PETER KÖRTE
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