Handlung: 15 Jahre nachdem ich zum ersten Mal versucht habe, Otfried Preußlers "Krabat" zu lesen, habe ich einen zweiten Versuch gewagt. Schon nach wenigen Hörminuten dieser atmosphärisch-gruseligen Geschichte ist mir wieder eingefallen, weshalb ich das Buch als Kind nicht zu Ende lesen wollte - mit einer magischen Mühle mit dem einäugigen Meister, den Gesellen, die sich in Raben verwandeln, unheimlichen nächtlichen Besuchen, harter Arbeit, okkulten Symbolen und rätselhaften Toden kreiert der Autor hier ein märchenhaftes, aber sehr düsteres Bild, das man als Kind erstmal verdauen muss. Als Erwachsene konnte mich die Geschichte also deutlich mehr packen, auch wenn ich mehr von der Atmosphäre und den hinter der Erzählung stehenden Metaphern mitgerissen wurde als von der Handlung an sich. Da Otfried Preußler die bekannte Sage um Krabat umsetzt, hat der Roman eine sehr klare Verteilung von Gut und Böse, viel kritisch hinterfragt wird nicht und auch die Figuren bleiben wie oft im Märchen eher oberflächlich. Auch das Magiesystem wird nicht erklärt und viele Fragen wie die nach der Identität des Gevatters oder was denn nun in der Mühle gemahlen wird, bleiben nur angedeutet und bis zum Ende offen. Was der Autor uns damit sagen wollte und wie seine sowjetische Kriegsgefangenschaft bei der Zeitdarstellung im Buch eine Rolle spielt, sind wohl Diskussionsansätze, die DeutschlehrerInnen glücklich machen würden. Für mich bleibt unterm Strich, dass das Handlungskonstrukt etwas stärker ausgearbeitet und vor allem das Ende etwas ausführlicher hätte sein können. Jenes macht es sich nämlich sehr einfach und löst den gesamten Konflikt auf wenigen Seiten auf. Schreibstil: Inhaltlich begeistern konnte mich "Krabat" also nicht wirklich. Aber das hat der Roman auch nicht notwendig, da die Atmosphäre durch die Geschichte trägt. Otfried Preußler nimmt uns mit in eine Mühle im christlichen Böhmen, genauer gesagt der Oberlausitz. Zeitlich ist die Geschichte am Anfang des 18. Jahrhunderts zu verorten, da immer wieder Anspielungen auf den Großen Nordischen Krieg gegen Schweden vorkommen. Trotz des vergangenen Settings geht es hier um zeitlose Themen wie der Wert von Freundschaft, der einfachen Weltsicht, harte Arbeit, Unterdrückung, der Verlockung von Macht und Angst vor dem Tod. Dass die 1971 erschienene Geschichte schon über 50 Jahre auf dem Buckel hat, macht sich in der Sprache meiner Meinung nach überraschend wenig bemerkbar, auch wenn zugegebenermaßen einige etwas angestaubte Formulierungen zu finden sind. Da ich mit Otfried Preußlers Kinderbuch-Klassikern wie "Die kleine Hexe", "Der kleine Wassermann", "Das kleine Gespenst" und "Der Räuber Hotzenplotz" aufgewachsen bin, fiel mir der Zugang aber auch leichter.Figuren: Wie bereits gesagt bleiben die Figuren eher im Hintergrund. Zwar ist Krabat als Hauptfigur durchaus sympathisch und macht einen Entwicklungsprozess durch, er könnte genau wie den Nebenfiguren aber noch mehr Tiefe vertragen. Besonders die Gesellen konnte ich zum Teil nur schwer auseinanderhalten. Hervorsticht allerdings die Freundschaft zwischen Krabat und Tonda, die überraschend herzlich geschrieben ist und beinahe an eine romantische Liebesgeschichte erinnert. Der heimliche Star der Geschichte ist allerdings Juro - ich habe einfach ein Herz für immer unterschätzte Figuren! Sehr enttäuscht war ich allerdings von der tatsächlichen Liebesgeschichte von Krabat und der Kantorka, deren Namen wir nicht erfahren, da sie eine rein funktionale Figur für Krabats Entwicklungsprozess bleibt. Genau wie so oft im Märchen haben die beiden kaum Zeit sich kennenzulernen, bevor sie schon bereit sind, füreinander zu sterben. Das Urteil"Krabat" ist ein atmosphärisches Gruselmärchen voller spannender Metaphern und okkulten Horrorelementen, das mir heute deutlich besser gefallen hat als vor 15 Jahren als Kind. Leider ist das Ende sehr knapp und die Figuren bleiben, wie oft im Märchen, eher oberflächlich gestaltet. Für diese beiden Punkte sowie das einfach gestrickte Handlungskonstrukt ziehe ich 2 Sterne ab.