Besprechung vom 16.09.2023
Per Eigenantrieb durch die Galaxis
Kapitalismus als Mittel zum Zweck: Die erste Biographie des manischen Unternehmers Elon Musk liegt vor. Was bewegt diesen Mann?
Elon Musk ist zurzeit der reichste Mann der Welt. Jetzt liegt die erste Biographie des Zweiundfünfzigjährigen vor. Sie hat gut achthundert Seiten und 95 Kapitel. Das deutet schon die Unruhe an, von der dieses Leben bestimmt ist. Alle paar Seiten investiert Musk Millionen und Milliarden in oft aussichtslos scheinende Projekte, alle paar Seiten feuert er hochrangige Mitarbeiter, die er soeben erst angestellt hatte, alle paar Seiten streitet er wütend mit Partnern und Konkurrenten, den Behörden, der Öffentlichkeit und mit seinen Ehefrauen. Von einer lässt er sich in sechs Jahren dreimal scheiden und heiratet sie dazwischen aufs Neue. Mit seinem Vater, der so rücksichtslos ist wie er selbst, überwirft er sich. Ein Sohn aus erster Ehe spricht jahrelang nicht mit ihm, lässt seine Geschlechtsangabe ändern und auch den Nachnamen. Kurz: Alle paar Seiten sucht Musk eine neue Krise und wird fündig.
Der wichtigste Name für solche Krisen lautet "Firmengründung". Die Firmen, durch die Musk es zum Vermögen von etwa 250 Milliarden Dollar gebracht hat, sind so unterschiedlich, dass ihm die Berufsbezeichnung "Unternehmer" mehr als jedem anderen zusteht. Begonnen hatte der vierundzwanzigjährige Absolvent des Maschinenbaus mit einem Laden, der Geschäftsadressen im Internet mit Geodaten verband, eine Art "Gelbe Seiten" plus Online-Landkarten. Ihn verkaufte er nach vier Jahren für 22 Millionen Dollar. Mehr als die Hälfte davon investiert er in den Versuch, ein Portal für Finanzdienstleistungen aufzubauen. Musk ruht sich nie auf seinen Reichtümern aus, wirft sie sofort ins nächste Geschäft.
Mit ein paar Kollegen gründet er den Zahlungsdienst Pay Pal, der zwei Jahre darauf für 1,5 Milliarden Dollar von Ebay gekauft wurde. Es folgen Firmen, die Raketen bauen, mit denen er zum Mars fliegen will, die das Internet vom Weltall aus bewirtschaften, die Tunnels bohren, es folgen die Autofirma Tesla, ein Anlagenbauer für Solarstrom, das Unternehmen Open AI, das uns neulich ChatGPT beschert hat, der Roboterhersteller Neuralink und schließlich der Kauf von Twitter, das er jetzt unter dem Namen X betreibt. An einer Stelle heißt es, nur einen Fußballklub würde er nicht kaufen. Die Ligen können aufatmen.
Denn Musk ist nicht nur ein Maschinenbauer, er ist eine Maschine. Tagelang verlässt er die Werkstätten seiner Firmen nicht und regiert telefonisch von der einen aus die anderen. Sein Vergnügen ist nicht das Kapital, sondern die Produktionslinie, die Verbesserung der Apparate. Die Mitarbeiter bringt er durch ständig neue Forderungen - "Kann die Schweißnaht nicht noch dünner sein?" - zur Verzweiflung. Geht nicht? Geht doch. Muss gehen. Fast möchte man sagen, Musk glaubt an die Verwirklichung des unmöglich Scheinenden, weil er aus Superhelden-Comics, Computerspielen und Science-Fiction-Büchern weiß, was alles geht.
Seine Umgebung attestiert ihm dabei durchgängig einen völligen Mangel an Einfühlungsvermögen in andere und eine schmerzfreie Sucht nach Risiko. Es war schon richtig, dass ihn seine Eltern dann doch nicht nach dem Ort seiner Zeugung "Nice" nannten. In allen Phasen seines Lebens wird beschrieben, wie ihn Stimmungsschwankungen im Griff haben: von einer Minute auf die andere witzig und tobsüchtig, freundlich und niederträchtig. Den Rest der Menschheit hält er im Zweifel für dumm und mutlos, die einzigen Regeln, die er akzeptieren will, sind die der Physik.
Seine Kindheit und Jugend in Südafrika sind von Gewalterfahrungen geprägt, er sucht Streit, wird krankenhausreif geprügelt, besucht Ferienlager, in denen es ums nackte Überleben geht. Würden Tweets zu blauen Flecken führen, sein Körper wäre voll von ihnen. Sieben Jahre lang leidet er an einer herausgesprungenen Bandscheibe, weil er auf einer Party einen Sumo-Ringer zu Boden wirft. Auf seiner Abschussrampe genießt er es, zwischen den noch brennenden Trümmern der Rakete spazieren zu gehen. Das Auto, das er sich von seinen ersten Millionen kauft, einen McLaren, verschrottet er bei einer Spritztour mit seinem Kompagnon Peter Thiel, weil der ihn gefragt hatte, was in dem Wagen denn so stecke. Mit Ruhe kann Musk einfach nichts anfangen.
Walter Isaacsons Biographie, die gerade auf Deutsch bei Bertelsmann erschienen ist, beruht auf vielen Gesprächen mit Musk, den er zwei Jahre lang überallhin begleiten konnte. Es dürfte insofern auch viel vom Selbstdarstellungsbedürfnis Musks in sie eingegangen sein. Dennoch erscheint der Held nicht geschönt. Wenn mitunter beklagt worden ist, dass der Adel eine ganze Literatur der unverschämten Selbstverherrlichung, mit Rittern, Prinzessinnen, Schlössern und Kreuzzügen, hervorgebracht hat, das Bürgertum hingegen keine, hält man hier eine Antwort in Händen.
In Musks Biographie fusioniert der Kapitalismus mit dem Abenteuer. Waren die Industriekapitäne des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts zumeist unspektakuläre Figuren, diszipliniert, bieder und sparsam, so erstaunt es wenig, dass sie das Interesse der romantischen Temperamente nicht fanden. Hier hingegen brennt in jedem Kapitel die Hütte, in der gerade die Jugendphantasien ihres Besitzers durch Arbeit bis zum Umfallen in Technik umgesetzt werden sollen. Work-Life-Balance ist für ihn ein anderes Wort für unnötigen Urlaub. Mit dem witzigen Ausdruck "Phoning in rich" belegt er die ihm verhasste Haltung, sich wegen Reichtums von der Arbeit abzumelden.
Noch mehr erregt seinen Zorn Pessimismus, etwa derjenige der Leerverkäufer, die Wetten auf sein Scheitern abschließen. Mit Bill Gates überwirft er sich, weil dieser gegen Tesla spekulierte und dabei 1,5 Milliarden Dollar verlor. Musk ist außer sich: Wie konnte der Philanthrop ausgerechnet gegen eine Firma wetten, die Elektroautos baut (und inzwischen mehr wert ist als die nächstgrößten fünf Autobauer weltweit)? Die Antwort von Gates, "Geld zu gewinnen", lässt Musk ratlos zurück. Sein Impetus sind die Produktivkräfte, nicht der Profit. Das Geld ist in erster Linie dazu da, die enorm hohen Einstiegskosten auf dem Markt für Raketen oder Pkws zu finanzieren, also das Abenteuer zu ermöglichen. Über die betriebswirtschaftliche Seite seiner Unternehmungen erfährt man in dieser Biographie entsprechend wenig.
Lange bestanden Musks Abenteuer ausschließlich aus technologischen Projekten. Das passte zur soziopathischen Veranlagung, die ihm alle nachsagen und die er auch nicht leugnet, sowie zu seinem Bildungsweg als Ingenieur und Programmierer. Mit dem Kauf von Twitter hat er sich in eine andere Richtung bewegt. Anfänglich durchaus Wähler der Demokraten, hat Musk, ziemlich genau seit sein Sohn Xavier zu Jenna wurde, sich immer stärker nach rechts bewegt. Inzwischen sitzt er mit Jordan Peterson und anderen libertären Übermenschen zusammen, die den Kampf gegen die Nervensägen aus der Abteilung "Wokeness" für abendfüllend halten.
Die unternehmerisch schlingernde Übernahme von Twitter folgte dieser Programmatik: Es müsse wieder alles gesagt werden dürfen, auch die Lügen von Trump. Isaacson findet die gute Formulierung, Musk habe mit Twitter den ultimativen Schulhof unter seine Kontrolle bringen wollen. Das war ihm sagenhafte 44 Milliarden Dollar wert; das Unternehmen soll derzeit rund vierzehn Milliarden Euro wert sein. Als Werbekunden absprangen, tobte er und versuchte Tweets zu verbieten, die den Werbeboykott bejahten. So viel zur Meinungsfreiheit, so viel aber auch zu den Grenzen von Musks Unternehmertum. Selbst die Tesla-Aktie war während der Twitter-Aktion zeitweise auf mehr als die Hälfte ihres Werts gefallen. Der Handel mit Kommunikation liegt ihm nicht, weil er sogar die eigenen Meinungen für ein Menschheitsprojekt hält.
Das ist naturgemäß eine vorläufige Aussage. Musk hat oft genug Erfolge erzielt, die ihm niemand zugetraut hat. Und zwar riesige Erfolge. Allerdings waren es stets Erfolge gegen die Trägheit der Materie, verzagte Ingenieure, unsinnige Vorschriften. Die Probleme, die er sich mit Twitter aufgehalst hat, sind keine technischen. Auf sein Ruhigerwerden durch Einsicht oder im Alter wird allerdings niemand, der dieses Buch gelesen hat, wetten wollen. Es erzählt einen Bildungsroman ohne verlorene Illusionen, ohne Entsagung und ohne Befriedung in Familie, Stellung oder Konsum. Das Leben Elon Musks erscheint hier fast wie die ewige Wiederkehr des Gleichen. JÜRGEN KAUBE
© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.