Dies soll Alice Munros letzter veröffentlichter Band mit Geschichten sein. Und in der Tat kann ich mir kaum vorstellen, was danach noch kommen sollte! Hier ist wieder einmal das ganze Leben eingefangen worden, oft auf knappem Raum, aber dennoch in all seinen Facetten.Ein wenig düster kam mir dieser Band vor. Das mag aber auch daran liegen, dass die Geschichten diesmal alle in der etwas ferneren kanadischen Vergangenheit spielen, noch dazu oft auf dem Land. Die Helden haben es allesamt nicht leicht. Kaum jemand ist glücklich, jeder muss sich mit schwierigen Aspekten seines Lebens herumschlagen. Pessimistisch ist das Buch allerdings nicht - nur ungewöhnlich, aufrüttelnd, so dass man es nicht leicht vergisst.Weiterhin ungewöhnlich finde ich, dass es diesmal sogar zwei Geschichten gibt, in denen Männer die Hauptperson sind. Einmal ist es ein Bewohner einer Kleinstadt mit einer leichten Behinderung, der sich mit einer jungen Frau über die Jahre anfreundet. Ein andermal ein ehemaliger Soldat, der nicht heimkehren mag und vor seiner Vergangenheit davonläuft.Bindungsunfähig oder -gestört sind viele der hier dargestellten Personen. Dennoch nimmt man Anteil an ihrem Leben. Das schafft die Autorin durch ihren unvergleichlichen Stil, ihre hoch virtuose Art, mit wenigen Szenen viel auszusagen. Im Original kommt das alles natürlich noch viel besser zur Geltung!Besonders berührt haben mich die letzten vier Geschichten. In einem kleinen einleitenden Abschnitt hierzu sagt Alice Munro, es handele sich zwar nicht direkt um eine Autobiographie, käme dem jedoch am nächsten. Sie muss eine harte Kindheit gehabt haben! Aber aus den Geschichten spricht keine Verbitterung. Eher eine vorurteilsfreie Annahme des Lebens an sich. Die kristallklare, umstandslose Sprache tut das Ihrige, um diesen Eindruck zu unterstreichen.Das Buch wird sehr lange in mir nachhallen. Ich werde auf Zügen über Land fahren, Farmern über die Zäune hinweg zuschauen, einsame Kleinstädte bereisen und mir die Vorurteile der Leute vornehmen. Aber eines werde ich sicher nicht - das Buch vergessen, oder mich langweilen.