Wer "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" von Amos Oz gelesen hat, wird manche Begegnungen, Szenen und Charaktere in diesem Buch möglicherweise leichter begreiflich finden als ohne dieses "Vorwissen" um den so eigenen, sehr metaphorischen und dann wieder unverblümten, direkten Stil des Jerusalemer Autors.
"Wo die Schakale heulen" entstand vor Oz autobiografischem Epos und erschien im Original 1965. Es enthält zehn Kurzgeschichten, fiktive Episoden und Einblicke in das damalige Israel und seine leidgeprüften Einwohner.
Es ist kein Roman, den man so eben nebenbei als leichte Lektüre lesen kann, die Geschichten eint allesamt dass sie kaum, eigentlich gar keine, heitere Momente besitzen. Humor findet sich nur zwischen den Zeilen, in einzelnen Bemerkungen oder Gedanken entweder eines der Personen oder des Erzählers.
Oz beherrscht meisterlich, feinste Stimmungen und Schwingungen zwischen Charakteren entstehen zu lassen, ohne etwas darüber niederzuschreiben. Er lässt das meiste im Kopf des Lesers entstehen, so lange bis man sich fragt, ob man da nicht doch zu viel hineininterpretiert hat?
Und dann wieder, ganz plötzlich, schwenkt die Situation um und er präsentiert mit wenigen Sätzen eine so intensive, überraschend direkte, fast brutal ehrliche Szenerie, die auch so schnell wieder vorbei ist, dass man als Leser kaum Zeit hat, davon abgestoßen zu werden.
Die zehn Geschichten lassen sich zwar auch rein als Einblick in die damalige, uns ferne Welt verstehen, dennoch bieten sie allesamt die Möglichkeit, Gleichnisse zu entdecken, Kritik an Umständen, der Gesellschaft und anderem, die auch heute und auch außerhalb Israels ihre Gültigkeit haben.
Werke von Amos Oz sind jedem zu empfehlen, der Lust auf anspruchsvolle, tiefgehende Literatur hat, aber die "klassische Weltliteratur" schon kennt oder nicht lesen möchte. Es ist nur wichtig, sich auf dieses Abenteuer einzulassen, nicht vom ungewohnten, schwierigen Beginn abschrecken zu lassen, den Oz einem neuen Leser zweifellos bieten kann.
Wer es sich zutraut, sollte meiner Meinung nach gleich mit "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" starten, aber ansonsten ist "Wo die Schakale heulen" ein guter Einstieg und stilistisch sogar der etwas schwierigere. Durch die kurzen Episoden, die über mehrere Jahre entstanden sind, merkt man, dass der Stil noch nicht ganz der ausgereifte ist wie im großen Roman, er schwankt noch stärken zwischen den Extremen.
Dass Amos Oz seine Werke nicht mehr überarbeiten kann (er verstarb 2018), ist einerseits schade, andererseits hat er durch seine erzählerische Gabe Texte geschaffen, die in vielen Aspekten so universell sind, dass sie mehrere Generationen später als Gesamtkomposition nichts an Eindringlichkeit verloren haben. Oz blickt seinen Protagonisten tief in Kopf und Seele und extrahiert mittels weniger Wörter und Sätze ihre ureigenste Menschlichkeit. Und solange es Menschen auf der Erde gibt, ganz egal was und wie wir uns verändern, solange bleibt diese Form der Literatur aktuell.