Die Realität war die Vorlage für Andrea Schenkels Debüt. Auf dem einsamen Hof in Bayern, weit abgelegen von den anderen Gehöften des Dorfes, war in den fünfziger Jahren tatsächlich eine ganze Familie ausgelöscht worden. Großvater, Großmutter, Tochter, die beiden Enkelkinder und die Magd wurden brutal erschlagen. Die oder der Täter blieben unerkannt.\\
In diesen alten Fall hat sich die auf Anhieb erfolgreiche Krimiautorin, die bislang als Mutter und Hausfrau ein zurückgezogenes Leben führt, eingearbeitet. Dazu hat sie eine Menge Akten und Aufzeichnungen studiert und wurde prompt für ihren Erstling "Tannöd" mit dem Deutschen Krimipreis 2007 ausgezeichnet.\\
Aus ganz unterschiedlichen Perspektiven lässt sie Personen zu Wort kommen, die über die Geschichte des Hofes Bescheid wissen. Da erzählt der Lehrer über die kleine Marie, die recht gern zur Schule ging. Ihre beste Freundin vermisst sie am Sonntag beim Gottesdienst schmerzlich und fragt sich, ob Maries Vater tatsächlich in Amerika lebt. Oder sollte der Briefträger Recht behalten, der gut über den Dorftratsch Bescheid weiß: "Die Gerüchte, dass bei denen alles immer in der Familie bleibt, sogar die Kinder, kenn ich schon." Oder stimmen eher die Vermutungen der Haushälterin des Pfarrers, wenn sie mutmaßt, dass die eigenbrötlerische Familie, die wenig Kontakt zu den anderen Dorfbewohnern pflegt, einen Pakt mit der Hölle eingegangen ist.\\
In immer weiteren Puzzlestücken breitet Andrea Schenkel den Mief der fünfziger Jahre einer kleinen Dorfgemeinschaft aus. Da wird verdächtigt, gemunkelt und kräftig unter den Teppich gekehrt. Das Spannende an diesem erstklassigen Krimi sind die verschiedenen Idiome, jede Person erhält ihren eigenen Tonfall. Da tunkt der Bauer morgens genüsslich das Brot in den Malzkaffee und "brockt sich noch eine Scheibe Brot in den "Hafen". Mit der Tasse Kaffee setzt er sich an den Tisch in die Zimmerecke." Oder der Monteur, der als Handwerker den Bauern besucht, kommt schnell, "ganz pressant hat er es gemacht." Diese Kleinigkeiten verleihen dem Stoff seine große Authenzität. Und übrigens ist der Mörder unerkannt von Anfang an dabei und erzählt aus seiner Sicht die Dinge.\\
Den Wechsel der Personen, die Veränderung der Erzählerstimmen, trennt die Autorin mit Einschüben aus Bittversen, so dass beim Lesen der Eindruck entsteht, einem Fürbitte - Gottesdienst beizuwohnen.\\
"Tannöd" ist ein schmaler Krimi, der leider viel zu schnell ausgelesen ist, doch sich in seiner Einzigartigkeit deutlich aus der Flut der Krimiware heraushebt. Höchstens ein Vergleich mit "Kaltblütig" von Truman Capote wäre angemessen.\\
© Manuela Haselberger\\
"Ein großartiges Buch! Fabelhaft! Ein unglaubliches Buch!"\\
Elke Heidenreich in Lesen!\\
"Sie konstruierte eine düstere Geschichte, so düster und packend, dass sie nun mit dem Deutschen Krimipreis 2007 ausgezeichnet wurde. Die 44 Jahre alte Andrea Maria Schenkel hat sich mit ihrem Debüt-Roman "Tannöd" auf ein Niveau geschrieben, das dem früherer Preisträger wie Wolf Haas entspricht. Wie Haas in seinen Brenner-Krimis hat sie eine neue Erzählform gefunden: Tannöd ist zusammengesetzt aus Schilderungen von Zeugen, wobei einer dieser Erzähler der Mörder sein muss."\\
SZ\\
"Eine gewisse "Fremdheit im eigenen Leben" ist es wohl, die Schenkel einen Blick "auf das Dunkle in den Figuren" ermöglicht. Nichts entgeht ihren wachen grünen Augen. So präzise fallen ihre Milieuschilderungen aus, dass sie ihr Romanpersonal gezielt verfremden muss, "damit sich der Franz aus der Nachbarschaft nicht wieder erkennt". Sie schafft eine Distanz, die ihre Sprache und Szenerie vor der Banalität heimattümelnder Regionalkrimis bewahrt."\\
Der Spiegel\\