Oft bin ich im Buchladen an diesem Buch vorbeigelaufen und habe darüber nachgedacht, es zu kaufen. Auf Wunsch einer Freundin hin habe ich es dann getan, da sie meinte, sie würde am Ende jemanden brauchen, um ihre Gedanken darüber auszutauschen und schnell wurde mir klar, weshalb sie das gesagt hat.
Direkt zum Anfang eine große Warnung. Bitte lest euch die Triggerwarnungen im Internet durch, solltet ihr planen, dieses Buch zu kaufen. Ich wusste nicht, dass so intensiv über bestimmte Themen gesprochen wird und behaupte von mir selbst, mit vielem gut umgehen zu können - aber hier hat sich mir schon das eine oder andere Mal der Magen umgedreht. Eine Contentwarnung am Anfang des Buches hätte meiner Meinung nach gut getan.
Jetzt zum Inhalt. Ich mochte die Charaktere nicht. Außer Santiago fand ich jeden einzelnen vorgestellten Menschen nervig, langweilig, anstrengend oder einfach nur gemein. Oder gleich alles auf einmal. Die Beziehung zwischen Cleo und Frank war von vorn herein zum Scheitern verurteilt und man beobachtet die beiden praktisch dabei, wie sie sich nach und nach selbst und gegenseitig zerstören. Andere Charaktere (insbesondere Quentin) lassen (zu) viel Raum für Interpretation und sind zwar da, tragen letztlich aber nichts zur Entwicklung des Plots bei. Sie sind allesamt tragisch auf ihre eigene Weise, allerdings wird nur sehr oberflächlich darauf eingegangen. Mit jedem Charakter wird eine eigene Geschichte, ein eigenes Trauma und damit auch ein eigenes Schicksal aufgemacht, dabei bräuchte es für jeden Charakter ein eigenes Buch, um das alles vernünftig aufzuarbeiten und nicht einfach so mal drüber zu streifen. Coco Mellors macht keinen guten Job dabei, die Probleme der einzelnen Personen zu behandeln und in einem Licht zu beleuchten, das ihnen auch gerecht wird. Die Wunden der einzelnen Charaktere werden aufgerissen, dann aber nicht mit dem notwendigen Feingefühl wieder behandelt. Mit Glück wird auf den metaphorischen Messerstich ein kleines Pflaster geklebt, mehr bekommt der/die Leser/in aber nicht.
Es war eine sehr frustrierende Erfahrung und ab der Hälfte habe ich jede dritte Seite nur um ein schnelles Ende meiner Leseerfahrung gebetet. Der Roman stellt sich als eine schillernde, tiefgreifende Liebesgeschichte zwischen einem erfolgreichen Mittvierziger und einer beinahe noch kindlichen Künstlerin dar, bringt dem/der Leser/in aber nichts als Schmerz. Nicht mal, weil die Geschichte so tragisch ist, sondern weil sie sich einfach nur zieht.
Was man Coco Mellors zugute halten muss, ist, dass sie ihr Ziel erreicht. Menschen sprechen über ihr Buch, es bleibt lange im Kopf und man denkt viel darüber nach, da jeder dieser Charaktere ein merkwürdiges Bauchgefühl hinterlässt. Auch ihr Schreibstil ist sehr ansprechend und vor allem grafisch. "Show, don't tell" hat sie jedenfalls gemeistert wie wenige andere. Wenn sie jetzt auch noch eine Geschichte auf die Beine stellt, die nicht etwas von sich behauptet, was sie nicht ist, kann ich mir durchaus vorstellen, noch einmal etwas von ihr zu lesen.