Besprechung vom 16.03.2019
Kein Grund zur Panik
Listen, klassifizieren, filtern: Hannah Fry erklärt gut verständlich wie Algorithmen funktionieren und was sie leisten.
Von Alexander Armbruster
Was macht das Internet? "Die Gesellschaft globalisieren, Kontrolle dezentralisieren", Hierarchien einebnen, sagte der Informatiker Nicholas Negroponte in den neunziger Jahren voraus. Der amerikanische Bürgerrechtler John Perry Barlow stilisierte in seiner "Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace" denselben gar zur "neuen Heimat des Geistes". "Ich lebe im Netz", schrieb die Wagniskapitalgeberin Esther Dyson. "Diejenigen, die der Logik des Netzes gehorchen (. . .), werden einen bedeutenden Vorteil haben in der Neuen Ökonomie", postulierte der Journalist Kevin Kelly.
Nun, mehr als zwanzig Jahre später, kann man bilanzieren. Hat das Netz geholfen, Freiheit und Demokratie zu verbreiten, oder ist es nicht vielerorts mittlerweile ein probates Mittel zur Kontrolle von Millionen? Welche neuen Geschäftsmodelle haben sich etabliert, welche Fertigkeiten braucht es dafür? Der langjährige Tech-Investor Roger McNamee hat gerade eine Abrechnung mit Facebook veröffentlicht - er selbst beriet den Gründer Mark Zuckerberg und empfahl der Managerin Sheryl Sandberg einst, dort zu arbeiten.
Die Mathematikerin Hannah Fry hat ihrerseits ein neues Buch vorgelegt, das gut dabei hilft, sich in diesen Debatten zu orientieren. Gerade auch denjenigen, die nicht schon über umfangreiche Grundkenntnisse in Informatik verfügen. "Hello World" ist kein politisches Manifest, sondern in weiten Teilen eine erfrischende, leicht verständliche Einführung in das, was Computer können, wie sie funktionieren, was Algorithmen, über die alle derzeit sprechen, eigentlich sind. Ganz nüchtern zitiert Fry einen Wörterbuch-Auszug, der einen Algorithmus definiert als "schrittweises Verfahren, um Probleme zu lösen oder ein Ziel zu erreichen, insbesondere mit einem Computer".
Und sie erläutert daran anschließend, was alles darunterfällt - etwa auch Kuchenrezepte, Wegbeschreibungen oder Ikea-Bauanleitungen. Sie führt ein in verschiedene Grundtypen von Algorithmen, solche, die geordnete Listen anlegen (Google), klassifizieren (Facebook), kombinieren (Parship) oder filtern (Alexa), in selbstlernende oder regelbasierte Algorithmen. Dabei geht sie darauf ein, dass und wieso gerade die selbstlernenden Algorithmen derzeit so angesagt sind und neue Erwartungen über die Zunahme der Fertigkeiten von Computerprogrammen (Künstliche Intelligenz) geweckt haben.
Mit diesem Rüstzeug ausgestattet, erschließt die Autorin ihren Lesern dann verschiedene Bereiche, in denen Algorithmen schon jetzt mit Menschen mithalten können oder deren Leistungen übertreffen und in denen sich Menschen substantiell auf ihre Berechnungen verlassen. Sie schildert die Handelskette, die Windelwerbung wirkungsvoll einsetzt, Richter und Polizisten, die Computer zu Hilfe nehmen, wenn sie über die Untersuchungshaft von Verdächtigen entscheiden, auch den Wettkampf, in dem der frühere Schachweltmeister Garry Kasparow dem Computer Deep Blue unterlag.
Sehr lesenswert ist das Kapitel, in dem sie über Käufer und Verkäufer von Daten schreibt und darüber, warum so viele Nutzer freiwillig viel über sich selbst mitteilen und welche Vorhersagen dadurch möglich werden; fast nebenbei werden auch noch einmal die Geschehnisse rund um das mittlerweile aufgelöste britische IT-Unternehmen Cambridge Analytica aufgerollt. Fry erläutert, wie das Verhalten von Menschen mit Hilfe von Algorithmen gesteuert werden kann, aber genauso, wie klein die erzielten Effekte zuweilen tatsächlich sind.
Gelegentlich kommentiert sie, lässt den Leser wissen, welche politischen Schlussfolgerungen sie selbst ziehen würde. Vor allem aber erklärt Fry, die in Ted-Talks und in der BBC schon mehrfach Mathematik für ein breites Publikum vermittelte, gekonnt und informativ, erspart sich Panikmache oder abstruse Apokalyptik. Und macht, auch wenn es eine Binsenweisheit ist, immer wieder klar, dass Technologie nicht gut oder böse ist, sondern es auf ihren Gebrauch und Kontrolle ankommt. Unternehmen verwenden Algorithmen sinnvoll oder missbrauchen sie, interpretieren sie richtig oder unzulässig, verwenden repräsentative Datensätze oder verzerrte. An ihrer grundsätzlichen Zuversicht lässt die Autorin kaum Zweifel. Das Buch ist ein gelungenes Stück Aufklärung über eine Entwicklung, die alle angeht. Was macht das Internet? Die Antwort steht aus - besser mitreden kann, wer dieses Buch gelesen hat.
Hannah Fry: "Hello World". Was Algorithmen können und wie sie unser Leben verändern.
Aus dem Englischen von Sigrid Schmid. Verlag C. H. Beck, München 2019. 272 S., Abb., geb.
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