{{cms:601961 }} **BRIGITTE WIR Rezensentin Hannah Krekeler über "Marlene"**\\
Sind Würde und Integrität einer Frau antastbar? Und wenn ja, unter welchen Bedingungen. \\\\
Mit Marlene hat Hanni Münzer den Fortsetzungsroman zu Honigtot vorgelegt, der wie Honigtot im Piper Verlag erschienen ist. In beiden Romanen bedient sich die Autorin einer Familiensaga vor und während des zweiten Weltkrieges. \\\\
Eine Besonderheit dieses Buches ist es, dass vielen Kapiteln Sinnsprüche, Zitate von bekannten oder auch unbekannten Persönlichkeiten und auch kurze Berichte von Ereignissen aus dieser Zeit vorangestellt werden. So behält der Leser den politisch wie gesellschaftlich hochbrisanten Kontext im Auge. \\\\
In dem aktuellen Buch Marlene, das in der Gegenwart beginnt und dort auch wieder endet, präsentiert Hanni Münzer dem Leser ein Mitglied dieser Familie als Protagonistin, eine ganz besondere Frau, Marlene. Zusammen mit Marlene wird der Leser auf einen spannenden, aufwühlenden Lebensweg in die Vergangenheit dieser faszinierenden Frau mitgenommen. Der Leser darf dabei ihre Seelenpein aber auch ihre Glücksmomente hautnah miterleben ("Nein, das bedeutet, solange es Schmetterlinge gibt, gibt es Hoffnung. Der Schmetterling ist das Symbol für Transformation; er steht für das Leben und nicht für den Tod." Seite 340). \\\\
Marlenes Geschichte beginnt 1944 in München. Sie steht vor den Trümmern ihres Zuhauses, wähnt nahe Angehörige tot. Dennoch, Marlene bleibt eine entschlossene Widerstandskämpferin, riskiert ihr Leben und wird zu einer der am meisten verfolgten Frauen in der Zeit des Nationalsozialismus. In dieser Zeit schließt sie viele auch ungewöhnliche Freundschaften, die von großer Beständigkeit geprägt sind. Und sie begegnet einem ganz besonderen Mann und damit der Liebe ihres Lebens. Doch dann fordern das Leben und das Zeitgeschehen Marlene die größte Entscheidung ihres Lebens ab. Plötzlich erhält sie die Chance, den Verlauf des Krieges zu ändern, vielleicht sogar zu beenden und damit Millionen Menschenleben zu retten. Doch der Preis, den sie dafür zu zahlen hätte, ist unermesslich hoch. \\\\
Die Autorin vermag mit ihrem Buch zu berühren, nimmt den Leser mit auf eine emotionale Reise, auf der sowohl die Protagonistin wie auch der Leser immer wieder an schweren, von Leid und Entsetzen bestimmten Stationen Halt machen müssen. Genauso wie die Protagonistin fasst und erfährt auch der Leser immer wieder Mut, dem Grauen entweder rechtzeitig zu entgehen oder es mit Würde zu durchschreiten ("Sie beschloss, das im Zug nach Warschau begonnene Spiel fortzusetzen und sich als seine Alliierte zu geben" Seite 146). \\\\
Hanni Münzer ist es gelungen, ihre Protagonistin zu einer sich selbst treu bleibenden Heldin der zahllosen, unsäglichen Kriegsalltage zu entwickeln ¿ und das in den damaligen Zeiten des kollektiven Verrats. Schnell versteht der Leser Marlenes Handlungen, kann sich völlig in sie hineinversetzen, wird zu ihrer Verbündeten und bangt immer wieder um einen guten Ausgang für sie. Wie gerne wäre man ihre Freundin. Die Freundin dieser willensstarken, mutigen, selbstbewussten und so mitfühlenden und liebesfähigen Frau, der es möglich ist, trotz Schreckenszeiten und Schreckensszenarien sich selbst und auch andere wohlwollend und liebevoll im Auge zu behalten ("Das war es, was Marlene von diesem Tag mitnahm, zugleich Erkenntnis und Bestätigung: es brauchte nur einen einzigen Menschen, der sich eines anderen annahm und ihn mit Fürsorge umgab, damit sich ein gutes Schicksal erfüllen konnte." Seite 497/498). \\\\
Zudem erreicht Hanni Münzer, die von Marlene durchlebten und durchlittenen Kriegserlebnisse nicht als exotische Tragödie darzustellen, sondern als bedrückende Normalität, in der damals unendlich viele Menschen leben und ausharren mussten. Die geschichtlichen Gegebenheiten, in denen sich Marlene behaupten muss, werden von Hanni Münzer ungeschönt und angefüllt mit tragischen Schicksalen geschildert. \\\\
Marlene ist für mich große Frauenliteratur mit Tiefgang, Scharfsinn und Seele. Beim Lesen habe jeden Moment bedauert, in dem ich dieses Buch aus der Hand legen musste. Ein besonders für Frauen berührendes, ausdruckstarkes Mutmachbuch, das auffordert, niemals aufzugeben. \\\\
Hannah Krekeler ** BRIGITTE WIR**
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{{cms:601962 }} **BRIGITTE WIR Rezensentin Sigrid Strecker über "Marlene"**
"Manchmal gibt es im Leben Momente, in denen einem plötzlich alles klar erscheint, sich unverhofft ein Knoten löst. Wie weggewischt sind Zweifel und Bedenken, und plötzlich liegt die Straße wie eine lange Gerade vor uns, und wir müssen nur den ersten Schritt tun. In die Zukunft." (Marlene, Hauptfigur S. 486)\\\\
Marlene ist ein Buch das vielseitige Facetten zeigt und spricht daher unterschiedliche Leserinnen und Leser an.
Man kann das Buch wie einen Agentenroman lesen, der mit rasanten, schnell auf einander folgenden Spannungselementen eines Politthrillers die Widerstandstätigkeit der Hauptfigur Marlene packend und mitreißend erzählt. \\\\
Der Roman beginnt mit dem Anfang der Naziherrschaft. Marlene, die Tochter des Gutsbesitzers auf einem Landgut in Brandenburg hilft beim Ernteeinholen. Sie ist eine junge, ungestüme natürliche Jugendliche, die offen mit ihren Mitmenschen umgeht und keinen Argwohn hegt. Die Einführung der Hauptperson Marlene erinnert an das Kinder- und Jugendbuch "Der Trotzkopf" von Emmy von Rhoden.\\\\
Doch bereits in diesem einführenden Kapitel wird der Eindruck der ländlichen Idylle gestört. Der örtliche Gauleiter Mettmann behandelt die polnischen Wanderarbeiter herablassend und kritisiert Marlene dafür, dass sie mit diesen ¿Personen¿ gemeinsam auf dem Feld arbeitet. Hier bekommt die Leserin den ersten Hinweis auf die Themenstellung des Romans: Willkürliche Naziherrschaft, die von Marlene in der jüdischen Widerstandsbewegung aktiv bekämpft wird.\\\\
In den folgenden Kapiteln erlebt die Hauptfigur Marlene Situationen, die sie immer wieder in höchste Gefahr bringt, sie leiden lässt an Körper und Seele. Es gelingt Marlene in allen qualvollen, schwierigen Situationen ihre Kraft und ihre Würde zu behalten, um ihr Ziel zu erreichen: Frieden und Freiheit. Ihr starker Willen und der Glaube an das Positive in der Welt erinnert an Scarlett O'Hara in "Vom Winde verweht" von Margaret Mitchell.
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Das Buch enthält zusätzlich zu der fiktiven Geschichte auch Fakten aus der realen Vergangenheit und bildet dadurch ein Dokument der Zeitgeschichte. Die Romanhandlung wird eingebettet in die Geschehnisse, die realistisch in dieser oder ähnlicher Weise in den letzten Kriegsjahren (1944 folgende) passiert sind. Historische Belege als "Kriegssplitter" eingestreut zwischen den Kapiteln und den Zwischenpassagen, die wie bei einem Countdown die Zeit bis zum Kriegsende herunterzählen, unterbrechen den Erzählfluss und versetzen die Leserin in die reale Vergangenheit. Zitate und Berichte ermöglichen die Reflektion der Geschehnisse. Aus der Distanz der heutigen Zeit bietet das Zusammenspiel zwischen der Romanhandlung und den Querverweisen auf die damalige Weltpolitik eine Chance, sich mit den Zeitgeschehnissen und deren Ursachen auseinanderzusetzen. Bezüge aus der Vergangenheit zeigen erschreckend aktuelle Aspekte der heutigen Wirklichkeit.\\\\
Der Roman "Marlene" enthält die klassischen Elemente eines Frauenromans. Im Mittelpunkt steht das Schicksal und Leben der Hauptperson "Marlene", die in einem Rückblick ihre Autobiografie erzählt. Aus der Perspektive von Marlene werden weitere weibliche Romanfiguren eingeführt. Die Autorin zeigt eine Vielzahl von weiblichen Charakteren, die auf unterschiedliche Weise versuchen, den Kriegsgräueln zu entgehen und in dieser schwierigen Zeit, sich und ihre Mitmenschen - unabhängig davon, ob sie verwandt sind oder nicht - zu beschützen.\\\\
Eine weitere wesentliche Hauptfigur in dem Roman neben Marlene ist "Trudi". Das junge Mädchen glaubt auch in schwierigen Zeiten alles bewältigen zu können und bringt sich dabei ein ums andere Mal in kritische und gefährliche Situationen. Marlene versucht sie vor dem Schlimmsten zu bewahren. Durch die ungestüme Art Trudis ist das Verhältnis zwischen Marlene und Trudi oft angespannt und erfährt immer wieder Brüche. Doch Marlene hält unerschütterlich in ihrer schwesterlichen Zuneigung und ihrem Beschützerinstinkt gegenüber Trudi fest, denn sie glaubt daran: "Liebe ist das Einzige, das diese Welt heilen kann." (aus dem Gedicht von Großvater Gustav vorgelesen von der Enkelin Klaudia, S. 518).\\\\
Der Roman "Marlene" lässt sich vielseitig interpretieren. Die Stärke des Buches besteht darin, dass es der Autorin gelungen ist, die spannungsgeladene Handlung mit tiefgründigen, facettenreichen Personen darzustellen. In ihrer Wortwahl werden durch teilweise sehr plakative und deutliche Adjektive insbesondere die männlichen Protagonisten gekennzeichnet. Doch die offensichtliche Fassade wird nach und nach mit geschickten, in die Handlung gestreuten Hinweisen durchbrochen und die Hintergründigkeit der Charaktere angedeutet. \\\\
Diese Erzählweise erfordert eine aufmerksame Leserin. Wie bei einem Mosaik setzt sich nach und nach die Bedeutung und die Struktur der Geschichte zu einem vielschichtigen Gesamtbild zusammen. Die Autorin fordert auf genau hinzusehen und nachzufragen, wenn Zweifel auftauchen, denn: "Nicht alles Alte war schlecht, nicht alles Neue war gut. Die Wahrheit lag wie immer in der Mitte, egal, von welcher Seite man sie betrachtete. Doch um dies zu erkennen, musste man mit offenen Augen durchs Leben gehen." (Marlene, S. 520)\\\\
Die Kombination aus Romanhandlung und historischen Fakten gibt dem Buch eine reale Relevanz, die zur bis aktuellen Zeit reicht. Das Besondere an diesem Buch ist, dass es der Autorin gelungen ist - trotz der schwierigen Thematik - ein leicht lesbares Buch zu schreiben und dabei nicht oberflächlich zu werden.\\\\
Der Roman "Marlene" empfiehlt sich daher als Lesestoff für Interessierte an fiktiven Biografien, für historisch Motivierte sowie für junge Leserinnen und Leser, die geschichtliche Fakten in einer spannend aufbereiteten Romanhandlung entdecken möchten.\\\\
Ein Lesevergnügen mit ernsthaftem Inhalt - nicht nur für Frauen.\\\\
Sigrid Strecker ** BRIGITTE WIR**