Besprechung vom 07.10.2024
Fataler Vorschein
Krimis in Kürze: Boston Teran, Thomas Knüwer, Jake Lamar
Wer hinter Boston Teran steckt, ist ein seit fünfundzwanzig Jahren gut gehütetes Geheimnis. Es gibt viele Spekulationen über das Pseudonym, manche vermuten ein Kollektiv, weil die sechzehn Romane eine derart erstaunliche Bandbreite des Erzählens aufweisen. Aber der Autor, wenn es denn ein "er" ist, wird schon seine Gründe haben, warum er die Öffentlichkeit nicht möchte.
In Deutschland lernen wir ihn mit "Gärten der Trauer" (Elsinor, 244 S., br., 24,- Euro) überhaupt erst kennen. Es ist ein historischer Roman, er spielt 1915, im Jahr des Genozids an den Armeniern. Ein Amerikaner, der für das FBI die Lage erkunden soll, die USA sind noch nicht in den Krieg eingetreten, reist von Istanbul über Trapezunt nach Van. Er soll diskret einen Priester unterstützen, der für einen eigenständigen armenischen Staat kämpft.
Es ist die Zeit, bevor die ehemaligen Kolonialmächte künstliche Staatsgebilde gründeten, die es zuvor nicht gab, in der mit dem Untergang des Osmanischen Reiches eine fatale Territorialpolitik begann, deren Konsequenzen wir bis heute spüren. Es ging um Öl, schon damals, um strategische Ziele, die sich nicht mit den Interessen von Armeniern oder Kurden deckten, die ihrerseits auch den Türken bei der Vernichtung der Armenier assistierten, genau wie einige deutsche Offiziere.
Teran beherrscht die bildkräftige Schilderung wie die epische Verknappung. Sein Roman ist voller intensiver, starker Actionsequenzen: die spektakuläre Befreiung des Priesters aus einem Gefängnis, eine Sprengaktion auf einem Ölfeld in Baku, die zum Feuersturm wird. Zugleich sind da Momente der Reflexion, weil der Held John Lourdes nicht nur so entschlossen handelt wie ein Westernheld, sondern im Denken so schnell ist wie mit der Waffe. Er hatte "einen Blick in die Zukunft werfen können - und die nackte Barbarei gesehen, die all dies erschaffen hatte". Dass der Elsinor Verlag weitere Romane von Boston Teran herausbringen will, ist eine gute Nachricht.
Thomas Knüwer ist ein Debütant. Das merkt man seinem Buch nicht an. Seine Prosa der kurzen, bündigen Sätze entwickelt einen guten Rhythmus. Er weiß, wann eine Pointe angebracht ist, aber er schielt nie danach. "Das Haus, in dem Gudelia stirbt" (Pendragon, 290 S., br., 20,- Euro) ist die Geschichte einer bitteren alten Frau in einem fiktiven Kaff namens Unterlingen, irgendwo im Süden Deutschlands, wo eine Zeitung namens "Donau Nachrichten" erscheint.
Die Geschichte spielt auf drei Zeitebenen. 1984 verliert Gudelia ihren fünfzehnjährigen Sohn nach einem ungeklärten Unfall. 1998 trennt sie sich von ihrem Mann, der nicht erst seit dem Tod des Sohnes schwerer Alkoholiker ist. Sie ist dabei nicht wählerisch in ihren Mitteln. 2024 setzt eine Flut den Ort unter Wasser. Die alte Dame harrt trotz der Gefahr aus, während ringsum die Häuser evakuiert werden. Sie hat etwas zu verbergen.
Und ihre Wahrnehmung der Ereignisse bekommt langsam wahnhafte Züge. "Schuld schwimmt oben" steht wie ein Motto auf dem Buchrücken. Das passt. Es gibt in diesen Jahren, aus denen schlaglichtartig einzelne Momente erzählt werden, einiges, was verdrängt wurde und vom reißenden Wasser unerbittlich nach oben gespült wird - bis zu einem bizarren und zugleich sehr konsequenten Finale.
Noch eine Entdeckung: "Das schwarze Chamäleon" (Nautilus, 328 S., br., 22,- Euro) von Jake Lamar, ein Campusroman, ein Krimi, ein politisches Buch aus dem Jahr 2001, das im Jahr 1992 spielt und auch ohne soziale Medien einen unverkennbaren Vorschein dessen enthält, was heute an amerikanischen Universitäten passiert. Im Zimmer eines umstrittenen schwarzen Professors wird eine tote weiße Studentin aufgefunden. Dessen Kollege Clay, der unzuverlässige und auch nicht sonderlich sympathische afroamerikanische Icherzähler und brave Familienvater, hatte eine Affäre mit ihr. So gerät er unweigerlich in etwas hinein, was ihm schnell über den Kopf wächst und seine Karriere Richtung Abgrund treibt.
Lamar hat ein Talent für Groteske und einen ausgeprägten, bisweilen erfrischend bösartigen schwarzen Humor. Er belässt die Story im Dunstkreis des Campus - und entwickelt daraus mühelos ein Gesellschaftsporträt der frühen Neunziger. Noch ein Autor, von dem man mehr lesen möchte. PETER KÖRTE
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