*aufgewacht und erster Blick aufs Smartphone* also mal sehen, was für neue Schrecken mich auf dem «Neue-Schrecken-Gerät» erwarten (Tweet von @missokistic, S. 27)
Ja, was verbirgt sich wohl hinter diesem wunderschönen Cover mit dem effekthaschenden Titel?
Die Autorin Jenny Odell ist Künstlerin und Kunstlehrerin an der Stanford University, was sie für meinen Geschmack etwas zu oft erwähnt. Sie schreibt selbst, dass wir ihr Buch nicht als abgeschlossene Informationsübermittlung betrachten sollten, sondern stattdessen als offenen und ausgedehnten Essay - eine Reise, einen Versuch vorwärtszukommen. Oder auch als ein aktivistisches Buch im Gewand eines Selbsthilfebuchs. (S. 24)
Für mich persönlich ist Nichts tun eher eine individuelle Erzählung in Form einer philosophischen Abhandlung, wie wir uns von der kapitalistischen Aufmerksamkeitsökonomie lösen können, um bedeutungsvollere Dinge zu tun, als auf Social Media zu hängen.
Ich denke, wenn man diese Lektüre als philosophische Darlegung definiert; wenn also dem Lesenden das bewusst ist und man sich darauf einlässt, nimmt einen das Buch gefangen. Dann kann man sich dafür Zeit nehmen, um ganz darin zu versinken - so wie Odell in ihren Ausführungen über ihre ausgedehnten Parkbesuche, Natur- und Vogelbeobachtungen sowie den Stippvisiten in Museen.
Nichts ist schwerer als das Nichtstun. [...] Einigen mag diese Rationalisierung und Vernetzung unserer gesamten gelebten Erfahrung so etwas wie die Befriedigung eines Ingenieurs verschaffen. Und doch bleibt eine Art nervöses Gefühl der Überreizung und der Unfähigkeit, einen Gedankengang zu Ende zu führen. (S. 7-8)
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Plattformen wie Facebook und Instagram funktionieren wie Staudämme, die sich unser natürliches Interesse an anderen und das zeitlose Bedürfnis nach Gemeinschaft zunutze machen, unsere ureigensten Sehnsüchte kapern, hintertreiben und aus ihnen Kapital schlagen. (S. 10)
Dennoch definiert die Autorin weder das Internet noch Social Media als Übeltäter, auch wenn diese uns in einem profitablen Zustand aus Angst, Neid und Zerstreuung halten.
Auf den letzten Seiten schreibt Jenny Odell: Es ist verlockend, dieses Buch mit einer einzigen Empfehlung, wie man am besten leben sollte, zu beschließen. Aber ich weigere mich, das zu tun. (S. 265)
So bleibt es bei der Leserschaft, für sich etwas Bedeutsames aus ihren Zeilen mitzunehmen und dies auf seine Weise zu interpretieren.
Viele Interessierte wird Odells Reflexion über die heutige digitale Welt, deren Teil wir sind, lieben. Einige wird es hingegen weniger ansprechen, da sie manche ihrer Sichtweisen als zu privilegiert empfinden werden.