Der Bestseller "My Sisters Keeper" (deutsch "Beim Leben meiner Schwester") von Jodi Picoult (Ersterscheinen 2004) bringt bioethische Konflikte vor ein breites Publikum.
Bei der zweijährigen Kate Fitzgerald wird eine aggressive Leukämie festgestellt. Keiner in der Familie, auch nicht Kates älterer Bruder Jesse, ist für eine eventuelle Knochenmarkspende geeignet. Die Eltern Sara und Brian entschließen sich mittels In-Vitro-Fertilisation (IVF) ein geeignetes Geschwisterkind entstehen zu lassen: Anna. Einige Jahre verlängert Anna so das Leben ihrer Schwester Kate. Als eine Nierenspende ansteht, Anna ist mittlerweile 15 Jahre alt, rebelliert sie und will mit Hilfe des Anwalte Campbell Alexander über ihren Körper selbst bestimmen. Der klagenden Anna wird vom Gericht ein Guardian ad litem zugeteilt, Julia.
Der Roman behandelt die wenigen Tage des Prozesses bis zum gerichtlichen Entscheid. Die Ereignisse überstürzen und ganz kurz werden am Romanende die weiteren Lebensjahre der Protagonisten skizziert.
Die Autorin läßt in zahlreichen Kapiteln je eine der Protagonisten des Romans als Ich-Erzählerin zu Wort kommen, ausgenommen Kate. Der damit verbundene Perspektivenwechsel lässt die beteiligten Leute auch in Rückblenden zu Wort kommen.
Vieles im Personengefüge erscheint konstruiert. Jesse gerät auf die schiefe Bahn, Campbell und Julia waren in ihren Studienjahren ein Liebespaar und frischen das wieder auf, Julia hat zudem eine leicht verwechselbare Zwillingsschwester, Sara kann sich vor Gericht selbst vertreten, da sie Jura studiert hatte. Etwas stark aufgetragen, aber man nimmt es hin, schließlich soll der Roman mit Dramatik vollgepackt werden.
Die Autorin ist eine versierte Schreiberin und hat sich mit den zur Diskussion gestellten bioethischen Probleme sicher eingehend befasst. Rundum ein etwas langer, aber gelungener Wissenschafts- und Ethikthriller. Dieser letzte Befund könnte mit einem Ausrufezeichen, aber auch mit einem Fragezeichen versehen werden. Ich habe Einwände.
Der häufige Perspektivenwechsel könnte die verschiedenen Standpunkte herausarbeiten, tut es aber nur ungenügend. Die Ich-Erzähler*innen unterscheiden sich sprachlich, von einigen Passagen bei Jesse abgesehen, kaum. Alle reden wortgewandt und oft mit spitzen Bemerkungen, z.B. Kate zu ihrer Mutter: "Dont talk to me. Youre good at that" (S. 311). Oftmals bekunden sie Details, die nur ein auktoriale Erzähler kennen kann.
Einiges war - bei aller Professionalität der Autorin - nicht glaubwürdig für mich. So beherrscht der 14-jährige Jesse die Wiederbeatmung (S. 314), Die ersten Worte des Anwalts Alexander in seinem Büro, als er die 15-jährigen Anna zum ersten Mal trifft, sind: "I dont want any Girl Scout cookies. Although you get Brownie points for tenacity. Ha." (S. 17). Da wird das kreative Schreiben überstrapaziert. Die Sprachverwechslungen innerhalb des dialoglastigen Romans nehmen zu auffällig überhand.
Nahezu jedes Kapitel endet mit einer schnippischen oder überraschenden Bemerkung wohl um die Leser bei der Stange zu halten, Der Running gag mit Campbells Blindenhund kam so oft, dass er mich schon wieder belustigte. Ich wartete auf die Ausrede.
Mir erscheint Picoults Stil etwas zu glatt und konstruiert mit vielen Griffen in die Trickkiste des kreativen Schreibens. Dabei scheut sie vor alten Kamellen, wie den Versicherungsfall um eine Schachtel Zigarren oder der zerstörerischen Kraft des Colagetränks nicht zurück.
Die Thematisierung der bioethischen Dilemmata verdient großes Lob, wenngleich ich dabei etwas mehr Hintergrund erhofft hatte. So hätte die Autorin Immanuel Kant oder auch neuere Ethiker und ihre Positionen kurz einführen können um den Lesern verschiedene Standpunkte nahe zu bringen. Als Denkanstoß ist "My Sisters Keeper" hoch willkommen. Die schriftstellerische Ausführung kommt mir zu hausbacken und routiniert herüber.