Besprechung vom 14.07.2024
Kein Schnee von gestern
Hommage an einen Kultautor: Jim Avignon hat "Der Schneemann" von Jörg Fauser illustriert - pünktlich zu dessen 80. Geburtstag.
Von Sonja Esmailzadeh
Es klingt wie ein schräges Roadmovie: Er strandet in Frankreich, hat kein Geld, und dann ist auch noch sein Auto kaputt. Also malt er, damals Anfang zwanzig, Salvador-Dalí-Motive auf das Pflaster von Avignon, um die Reparatur zu bezahlen. Dann steigt er wieder ins Auto und ist von da an Jim Avignon.
Zu seinem echten Namen, Alter oder Geburtsort macht er ambivalente Angaben, schon damals als Statement gegen Fake News, sagt er. In der Szene ist der deutsche Pop-Art-Künstler und Musiker bekannt wie ein bunter Hund. Von seiner Kunst kann der Wahlberliner gute 30 Jahre später mehr als die Autoreparatur zahlen. Avignon hat ein Flugzeug und Autos bemalt, Zigarettenschachteln und eine Swatch-Uhr gestaltet und seine Werke in kleineren und größeren Ausstellungen gezeigt, vor Kurzem in Seoul. Auch mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen wie einer dekonstruierenden Kunst-Performance à la Banksy vor der Documenta in Kassel oder dem Übermalen seines eigenen denkmalgeschützten Gemäldes auf der East Side Gallery hat er auf sich aufmerksam gemacht. Der umtriebige Rekordmaler, der seine Werke rasend schnell produziert und meist für wenig Geld verkauft, will es jetzt aber ruhiger angehen. Da kommt der Auftrag der Frankfurter Büchergilde Gutenberg gerade recht. Für eine Neuauflage des Kriminalromans "Der Schneemann" des Frankfurter Kultautors Jörg Fauser sollte er die Illustrationen beisteuern. Sie ist aktuell zu dessen 80. Geburtstag und knapp 40 Jahre nach Fausers Tod erschienen. "Das passte sehr gut. Ich mag den Stil der Bücher, der mich an Fassbinder-Filme erinnert, den trockenen Humor, das Selbstironische", sagt Avignon vor dem Musikklub Ono2 in Sachsenhausen. Dort hatte er kürzlich einen seiner typischen Auftritte, eine Mischung aus Konzert und Ausstellung. Im kleinen Frankfurter Szeneclub, den er noch von früher kennt, konnte man seine "Schneemann"-Illustrationen neben anderen Bildern im Großformat sehen, Acryl auf Papier und Karton. Dazu hat Avignon als Neoangin, wie er seine "1-Mann-Heimelektronikband" nennt, alte und neue Stücke für ein aktuell geplantes Album gespielt. Die Klubkultur, die Drogen- und Untergrundszene, die Kapitalismuskritik, die Gesellschaft der Siebziger- und Achtzigerjahre, auch das verbindet Avignon mit Fauser. "Ich habe mich sehr wohlgefühlt in der Story", so Avignon.
Die Story zu "Der Schneemann", der 1984 mit Marius Müller Westernhagen verfilmt wurde: Eigentlich will Protagonist Blum auf Malta nur seine Pornohefte verticken. Doch dann findet er sich plötzlich in Frankfurt mit ein paar Pfund Koks wieder. Die Karibik scheint greifbar, ist der Stoff erst mal verkauft. Nur leider scheitert Blum dabei ein bisschen an sich selbst, an seiner Naivität, an Cora, Mr. Haq und den Mittellosen, die es auf den Schnee abgesehen haben. In der Mitte des Romans beschreibt Fauser die Stadt, in der er, Sohn zweier Künstler, selbst zur Schule ging, für Zeitungen schrieb, sein Studium der Ethnologie und Anglistik abbrach, in der er kaputtging, heroinsüchtig wurde und nach seiner Rückkehr aus einem Istanbuler Drogenviertel Anfang der Siebzigerjahre wieder clean wurde.
Fauser nahm durchaus aktuelle Entwicklungen vorweg. Auf dem Eisernen Steg, wo im Roman Möwen schreien, Ausflugsschiffe im Wasser dümpeln, alte Damen Tauben füttern und türkische Kinder Ajatollah spielen, will Blum einen nervösen Dealer treffen. Diese mit Banken, Bordellen und Boutiquen in die Höhe gewachsene Stadt ist ihm fremd geworden. So bewundert Blum die Skyline mit einer Mischung aus Ekel und Faszination und konstatiert: "Man konnte sagen, was man wollte, in Frankfurt ging man zur Sache, und wenn schon alles zum Kotzen war, hier zeigte man wenigstens offen, welche Kotze zählte." Avignon, der diese Szene illustriert hat, mag diese "runtergehopsten Ecken". Er hat selbst zwei Jahre in Frankfurt gewohnt, hatte in der Szenekneipe Café Eckstein ein Atelier, ehe er wie Fauser München und Berlin für sich entdeckte. "Ende der Achtzigerjahre hatte Frankfurt so ein energiegeladenes, hungriges Nacht- und Kulturleben."
Avignons bunter Comicstil, zwischen Picasso, Lyonel Feininger und Keith Haring in einer Low-Budget-Variante, wirkt auf den ersten Blick optimistisch, lebensbejahend. Dahinter verbirgt sich aber oft eine Kritik an der Informationsgesellschaft, er zeigt das einsame, von Konsum verzehrte Individuum. Noch eine Gemeinsamkeit mit Fauser, der zwar so tat und schrieb, als sei er ein harter Kerl, aber eine verletzliche Dichterseele hatte.
Während Avignon das "Geschlenker zwischen Sub- und Hochkultur" wenig ausmacht, kam Fauser, der von amerikanischen Hardboiled-Autoren und Beat-Literaten wie Raymond Chandler oder Jack Kerouac beeinflusst war, nur schwer mit seinem Krimiautoren-Image klar - wohl auch wegen einer scharfen Kritik Marcel-Reich-Ranickis beim Vorlesewettbewerb in Klagenfurt, die sein Schriftstellerkollege Michael Köhlmeier als persönliche Attacke wertete. Er vermutete auch, Fausers Tod sei kein Unfall gewesen, sondern Mord. Fauser wurde nach seinem Geburtstag am 17. Juli 1987, stark alkoholisiert, auf der A 94 in München, wo er zuletzt mit Ehefrau Gabriele Oßwald lebte, von einem Lastwagen erfasst und getötet. Es begann ein Nachleben als Kultautor.
Das Schmuddelkind von einst gilt heute als großer Wegbereiter des Underground-Genres. Autoren wie Benjamin von Stuckrad-Barre würdigen ihn in ihren Büchern. Neben der Schneemann-Neuauflage ist im Juni auch "Rebell im Cola-Hinterland. Jörg Fauser. Die Biografie" im Diogenes-Verlag erschienen: "Weil Jörg Fauser ein Phänomen war, das nach wie vor Rätsel aufgibt", schreiben die Autoren Ambros Waibel und Matthias Penzel. Fausers Romane "Rohstoff", "Schlangenmaul" und "Der Schneemann", seine Gedichte oder Essays wie "Blues für Blondinen" über die Frankfurter Szene stehen für eine untergegangene Welt der Underdogs, die keinesfalls Schnee von gestern ist.
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