Geständnis: ich lese selten Kriminalromane, bei diesem hat mich der Titel verbunden mit dem Innenleben gereizt.
Für mich ist der vorliegende Roman weniger ein Kriminalroman als eine Abenteuergeschichte, eine on the Road-Story, garniert mit kriminellen Einsprengseln.
Der Stil ist handfest, wie von einem Handwerker, der Jörg Juretzka auch mal war, geschrieben. Ohne hochgeistiges Geschwurbel oder tiefenpsychologische Exzesse. Die schnoddrig-rotzigen Sprachfetzen törnen mich jedoch ab, sollen sie witzig sein, modern?
Es gibt drei nicht-humane Protagonisten, die viel beschreibende Beachtung finden.
Der Truck mit seinen Malaisen und entsprechenden Instandsetzungen eine kurze Automechaniker-Einführung, so dass man glaubt, selbst dünenauf dünenab alles im Griff zu haben
Die Wüste als immer vorhandene Kulisse in allen Farb-Schattierungen mit all ihren Schönheiten und Unwägbarkeiten wie Sandstürmen, Wasserfluten, Dünen und Ergs
Und Bella, die wachsame, eigensinnige, treue Hündin, die Mensch-Gefährtin in allen Lebenslage
Die anderen Protagonisten sind:
Jamilah, eine verwöhnte instagrammierte somalische Göre mit einem frisch entbundenen Säugling, einzige Überlebende eines Flüchtlingstrucks. Sie sorgt für mörderische ehrenrührige Verwicklungen.
Oumou, die in Tamanrasset aus einer Pappkartonsiedlung auftauchte, auch sie Mutter eines Säuglings, Französisch-Lehrerin aus Mali, Christin, vom Volk der Dogon.
Roots, ein jamaikanisch-äthiopischer Rasta-Zwerg mit seinem Skateboard,
Mombassa, ein dick-behäbiger Kongolese in Tamanrasset mit der Undurchsichtigkeit eines Söldner-Vermittlers.
Abdel Medelci, der Zollchef Südalgeriens
Ein älterer Afghane, unberechenbarer Räuberhäuptling mit seinen schieß- und mordlustigen, dumpfbackigen Jungs.
Gigi, der Cabriofahrer, ein Mann schwarz wie die Nacht, eine Art Vermittler zwischen Zuhältern und ihren Pferdchen
Und last not least die Touristen: Backpacker regenbogenbunte, tätowierte Neo-Hippies mit ihren Knöpfen im Ohr und ihren Smartphone-Selfies. Und die Trautes-Heim-auf-Reisen-Mobiler.
Hauptdarsteller ist Kristof Kryszinski, ein Ex-Kriminalist, der sich in der Wüste von seinem gestressten Leben, von den Menschen, von Europa erholen will. Ein Selbstfindungs-Trip mit vielen Momenten der Entspannung, Tee trinkend oder Wodka schluckend oder Opium rauschend.Aber auch ein Trip mit der Aufgabe, vermisste oder verunglückte Personen aufzuspüren. Was ihm oft gelingt, oft aber auch misslingt. Warum tat er das? Weil nur Wüste ohne Kick und ohne detektivischen Spürsinn wer waren die Opfer, wer waren die Täter? Woher? Warum? dann doch zu eingleisig, zu einfarbig wurde.
Auf der Suche nach einem Schweizer Ehepaar, das auf archäologischer Spurensuche unterwegs war, entdeckte er zwei tote Briten. Früher half man sich in der Wüste, wenn man verletzt oder ohne Wasser war, heute ist oft nahende Hilfe ein Todesurteil. Denn bewaffnete Banden treiben ihr räuberisches Unwesen. Die westlichen Unterwegsler sind meist gut ausgestattet mit allerlei höchstpreisigen Dingen, sie selbst ein fettes Lösegeld wert.
Bei den Briten entdeckte er, gut versteckt, eine Portion Opium, zu wenig für professionellen Handel, zu viel für den Eigenbedarf. Wahrscheinlich wollten sie, unbedarft und naiv, das lauschige Gift irgendwo verticken, um ihre Reise zu finanzieren.
Ein weiterer Fund war ein G-Klasse-Mercedes mit einem schon halb mumifizierten Leichnam, in teurem Anzug, mit einer Kalaschnikow und einem Gürtel voller Goldmünzen.
Und dann die Internet-Pseudo-Promis, Michel und Mikkel: ein perfektes Paar, das in perfekter Umgebung bei perfektem Wetter sein perfektes Dasein öffentlich inszenierte. Die hier in der Wüste ihre 3. Hochzeit in Szene arrangieren wollten.
In dem leicht lesbaren Roman ist neben der Schilderung der wüsten Fahrten, der handelnden und nicht handelnden Personen auch einiges an Kritik versteckt. Die 2 Klassen-Gesellschaft: westliche Vermisste werden oft durch politischen Druck sogar mit Hubschraubern gesucht, all die versandeten Afrikaner auf dem Weg ins Gelobte Land waren nicht einmal einen Gedanken wert.
So waren auch sie eine wunderbare Einnahmequelle für die Schlepper und Schleuser, denn die kassierten im voraus und hatten ihr Geld schon sicher im Safe, egal, was dann möglicherweise unterwegs passieren mochte. Niemand schrieb Schlagzeilen, es gab keine internationalen Demonstrationen für diese hilflosen Opfer. Und selbst wenn sie es irgendwohin schafften nun ja, als aufgeklärte Leser wissen wir, wie ihre Geschichten enden.
Für die ansässigen Bewohner sind die westlichen Wüstenfahrer ein Volk von Verrückten. Sich freiwillig der gnadenlosen Wüstennatur auszuliefern, in einer Blechschachtel vor sich hin zu leben, wo die doch zu Hause alles haben: fließendes Wasser, einen Arzt und einen Supermarkt in der Nähe und sogar Geld vom Staat.
All diese Irrungen und Verwirrungen sind plastisch und lebensecht beschrieben. Und es gibt sogar ein offenes Happy-End. Eine Lektüre, die ich durchaus avec plaisir gelesen habe.
Dieses Vergnügen sollten Sie sich auch gönnen, besonders wenn Sie wüstenaffin sind. Und vielleicht danach die Wüste nicht nur mitfahrend, sondern mitgehend erlebend. Wie Otl Aicher.
"Die Wüste ist eine Denklandschaft. Man geht nicht nur zwischen Dünen umher, man macht Gedankengänge. Es verändern sich die Gedankenhorizonte."