Besprechung vom 26.08.2021
Tausche Auto gegen Zahnbürste
Der Schweizer Journalist und China-Blogger Oliver Zwahlen entwirft trotz des Serientitels eine eher intelligente Gebrauchsanweisung, wie "man China trotzdem lieben kann". Er zeichnet ein Bild der Extreme zwischen Bezauberung und Bevormundung, ein Land auf der Überholspur und auf dem Weg in die Repression, wie durch das Sozialkreditsystem. Hier äußert sich China-Liebe vor allem als Lob kritischer Geister, der Aktivisten und Kronzeugen der Zensur. Da wären der Fotograf Ren Hang, dessen Bilder mit der "staatlich angeordneten Prüderie" kollidierten, der Rockstar und Freiheitshymnensänger Cui Jian oder die Whistleblowerin Sayragul Sauytbay, die Praktiken der Umerziehungslager in Xinjiang publik machte. Dem Überwachungsstaat und politischen China setzt der Autor die Kunstszene, Bräuche der Minoritäten sowie Marotten der kleinen Leute entgegen, wie Spazierengehen im Pyjama, mietbare falsche Freunde, um den Heiratserwartungen der Verwandtschaft etwas entgegenzusetzen, oder Square Dance tanzende Omas auf öffentlichen Plätzen. Und der viel kritisierten Kopierwut der chinesischen Industrie Basics wie Papier und Zahnbürste, Kompass oder Schießpulver, die in China erfunden wurden. Das Land ist für ihn in seinen Widersprüchen eine faszinierende wie explosive Amour fou. sg.
"111 Gründe, China zu lieben. Eine Liebeserklärung an das schönste Land der Welt" von Oliver Zwahlen. Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2021. 320 Seiten, mit zwei farbigen Bildteilen. Gebunden
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