Technik- und gesellschaftskritische Auseinandersetzung
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer Pandemie greift die Digitalisierung in immer weitere Felder unserer Wirtschaft, aber auch unseres Lebens ein. Da wäre es gut, sich darauf "verlassen" zu können, wenn dies zum Nutzen der Menschheit erfolgte. Wir leben in einer Welt, in der Technik eine immer größere Rolle spielt: von Online-Shops (naja, besser schon Portale, quasi die Einkaufscenter des Digitalen) über Dating-Apps, Videokonferenzen, "Soziale Medien" bis zum Kühlschrank, der KI-basiert den Joghurt in nicht allzu ferner Zukunft selbst bestellen wird. Dass das was mit unserem Leben macht, ist klar, aber dadurch ändern sich ja auch unsere Vorstellungen von "Moral", Ethik, Werten ... wo wird das denn mal thematisiert? Nun, zumindest in Sarah Spiekermanns Buch: Hier geht es um genau jene evtl. negativen Folgen. Und die haben manche "da draußen" schon erleben müssen, angefangen bei Respektlosigkeit, zunehmender Verrohung, Egoismus ("Ich-Haftigkeit" wäre wohl noch treffender: jeder glaubt, seine Bedürfnisse stünden über denen aller anderen und das sogar berechtigt), "Hüllen-Dasein" (ein bisschen wie in Science-Fiction filmen, in denen Avatare unser Leben leben, befeuert durch Social Media, wo es ausschließlich um Darstellung geht - Authentizität? Fehlanzeige) und das sind nur einige. Beim Erkennen dieser nennen wir es "Fehlstellungen" hilft das Buch in erster Linie. In zweiter auch dabei, sich zu "wehren". Spiekermann zeigt auf, wo wir uns aus Bequemlichkeit Entscheidungen abnehmen lassen. Doch in dem Moment, wo wir das akzeptieren, berauben wir uns selbst unserer Freiheiten, der Fähigkeit, auf Neues offen zuzugehen (und das ist in gesellschaftlicher Hinsicht sicher ein großes Problem unserer Zeit, das auch andere Probleme zu erklären vermag). Statt dessen plädiert Spiekermann für eine Technik, die uns (wieder) dient - und nicht umgekehrt - sowie für eine Ethik, die dem Umstand zugrunde liegen müsste. Wer nun glaubt: Sperriges Thema, lieber nicht lesen, irrt. Zum einen ist das Buch durchaus gut lesbar und zum anderen spricht es schlicht wichtige Themen bzw. Fragen an. Warum lassen wir uns von IT-Konzernen auf Umwegen zu deren Spielbällen machen? Was machen wir denn mit der durch Technik "gewonnen Zeit" und geht ein Essenslieferdienst nicht auch auf irgendjemandes Kosten? Sollten wir nicht lieber zu steuern versuchen als uns rumschubsen zu lassen? Vielleicht ist das ja auch der Punkt, den andere Vordenker mit "mangelnden Visionen" thematisieren? Dass ausgerechnet eine Wirtschaftsinformatikerin diese Fragen und potentielle Antwort aufwirft, spricht schon eine deutliche Sprache und verdeutlicht, dass nicht einmal mehr die, die Technik schaffen, sie ohne Wenn und Aber als positiv empfinden. Dabei bleibt Spiekermann immer konstruktiv, auch wenn sie techni- und gesellschaftskritisch argumentiert. Alle, die sich ohnehin schon (kritisch) mit derartigen Themen befassen, werden sich bestätigt fühlen bzw. abklopfen können, wie richtig sie mit ihren Einschätzungen liegen; Thema-Einsteiger werden gute Einblicke erhalten; allen gemeinsam dürfte sein, dass sie sich nicht mit Lippenbekenntnissen abfinden sollten und selbst zu denken auf jeden Fall wertvoll ist. Insofern kann man der Süddeutschen Zeitung, die sagt, das Buch sei Pflichtlektüre, eigentlich nur beipflichten - wenngleich es auch (kleine) Schwachstellen hat, z. B. da wo auch Spiekermann der Selbstdarstellung (bzw. kleinen "Werbeblöcken") nicht vollständig zu widerstehen vermag.