"(...) darf sich ein Mensch (...) nicht, so gut es geht, selbst glücklich machen? Ich halte das für legitim. Schließlich ist die Welt ja wunderschön, und wenn wir keine Menschen wären, sondern andere Geschöpfe, so könnten wir sehr wohl dauerhaft glücklich in ihr sein."
INHALT:
Irland, 1957: Roseanne ist um die 100 Jahre alt, genau weiß das niemand. Sie fristet ihr Dasein in einer psychiatrischen Klinik in Roscommon. Heimlich schreibt sie ihr Leben auf. Sie erinnert sich an früher und vertraut dem Papier mehr an, als ihrem Arzt, auch wenn sie ihn gerne hat.
Dr. Grene, knapp 65 Jahre alt und leitender Psychiater, steht vor einer herausfordernden Aufgabe: Das morsche Klinikgebäude soll abgerissen werden, die Patienten sollen in einen Neubau ziehen. Doch dort ist weniger Platz. Also muss er als Arzt entscheiden, welche Patienten entlassen werden können. Wurden sie aus medizinischen oder aus sozialen Gründen eingewiesen?
Roseanne war schon vor ihm hier, mindestens also seit 30 Jahren. Dr. Grene muss ihren Fall nun neu bewerten. Was ist damals im Bürgerkrieg geschehen? War ihr Vater, der Friedhofswärter, ein Verräter? Und hat Roseanne tatsächlich ein Kind umgebracht?
MEINUNG:
Auf dieses Buch aufmerksam geworden, bin ich durch "Annie Dunne", ein anderes Buch von Sebastian Barry, von dem ich schwer begeistert war.
Auch wenn die Kulisse diesmal eine andere ist (psychiatrische Klinik & Friedhof statt auf dem Land), hat es doch wieder diesen düsteren, melancholischen Klang, den ich manchmal ganz gerne habe.
Ich fand die Handlung sehr ansprechend, auch wenn sie sehr langsam voranschreitet. Dies lädt zum Innehalten ein, was bei all der Hektik im Alltag, entschleunigend wirken kann, obwohl der Inhalt zum Teil sehr tragisch und nicht ganz ohne ist.
Die beiden Perspektiven von Roseanne und Dr. Grene haben mir ganz gut gefallen, wobei mir Roseanne emotional etwas zu fern blieb. Auf der anderen Seite ist dies vielleicht auch so vom Autor erwünscht, schließlich befindet sich die alte Dame seit so vielen Jahren allein in diesem Klinikzimmer und scheint nicht viel Kontakt zu Menschen gehabt zu haben. Außerdem ist vorher in ihrem Leben einiges geschehen, was sie vielleicht auf Abstand zu anderen hält. Daher wirkte dies auf mich authentisch.
Auch in "Ein verborgenes Leben" führten bereits die ersten Seiten dazu, dass ich mich in den Schreibstil Barrys verliebt habe. Wie findet man nur so wunderschöne Sätze?
Allerdings verlangt ein etwas ausufernder Schreibstil auch nach viel Konzentration und verleitet schnell dazu, dass man die Aufmerksamkeit verliert. So ging es mir zumindest, weshalb ich mit zahlreichen Längen zu kämpfen hatte und beim Lesen viele Pausen einlegen musste.
Trotzdem habe ich den Anschluss nie komplett verloren, da trotz des langsamen Fortschreitens der Handlung, jedes Mal wieder etwas Interessantes geschehen ist, das meine Aufmerksamkeit erneut auf sich zog.
Lediglich der Schluss wirkte auf mich zu konstruiert. Zufälle geschehen, aber manche wirken sich negativ auf die Authentizität einer Geschichte aus, was für mich hier der Fall war.
FAZIT: Insgesamt ist ein Buch, welches man nur schwer bewerten kann, da es so eigenwillig daherkommt. Nicht jeder wird den Schreibstil mögen, aber einige werden ihn lieben (ich zähle mich zu letzterer Gruppe, auch wenn ich mit vielen Längen zu kämpfen hatte und Pausen einlegen musste). Und so wird es auch mit dem Inhalt sein, welcher mir bis auf den Schluss sehr gut gefallen hat.
Wer langsam voranschreitende, leicht düstere Handlungen mag und sich von einem wunderschönen, ausgefallenem aber etwas ausufernden Schreibstil nicht einschüchtern lässt, der könnte sich das Buch definitiv mal anschauen! 3,5-4/5 Sterne