Mit "Furcht" hat der norwegische Autor Sven Petter Ness einen Kriminalroman geschrieben, der nicht nur zwischen Oslo und Edinburgh wechselt und dabei zwei Ermittlungsteams in den Focus stellt, das Buch hat auch etwas von einem Zwiebelprinzip oder einer russischen Matrjoschka-Puppe: Immer dann, wenn etwas klar erscheint, steckt dahinter nur die nächste Frage, das nächste Geheimnis - und das konsequent bis ganz zum Schluss. Es ergibt sich also so manche überraschende Wendung.Mit Harinder Singh ist der Protagonist nicht ganz der typische blonde, blauäugige Skandinavier, auch wenn er in Norwegen als Sohn eines indischen Einwanderers geboren wurde. Erwahrungen mit Alltagsrassismus werden allerdings nur eher nebenbei erwähnt, und wenn Singh in seiner Ermittlereinheit aneckt, dann hat das eher mit seiner Hartnäckigkeit zu tun, die von Vorgesetzten manchmal auch als Sturheit oder Eigensinn ausgelegt wird.Singh ist zunächst einmal als besorgter Verwandter unterwegs: Seine Nichte Amandeep, seit ein paar Monaten als Austauschstudentin an der Universität Edinburgh, wurde misshandelt und halbtot aus dem Fluss geborgen, liegt im künstlichen Koma. Sie wurde auf der Rückkehr von einer Bergtour entführt. Ihre Mutter ist Singhs Halbschwester, und so reist er einerseits zur emotionalen Unterstützung nach Schottland, andererseits aber auch mit dem Wunsch, herauszufinden, was eigentlich passiert ist. Sowohl seine norwegischen Vorgesetzten als auch die schottischen Kollegen weisen ihn darauf hin, dass er keinerlei Ermittlungsbefugnisse hat, doch Singh ist wie gesagt eigensinnig. Als seine norwegische Kollegin auf seine Bitte Amandeeps Ex-Freund befragt, kommen neue Einzelheiten ans Licht, die plötzlich einen Ermittlungsansatz bieten könnten: Denn Amandeep hatte mehr als ein Jahr lang in einem Club gejobbt, der einem Brüderpaar gehört, das in der Organisierten Kriminalität von Oslo ganz oben mitmischt - nur nachweisen lässt sich das nicht. Ein Informant wurde kürzlich erschossen aufgefunden, die Tatweise erinnert an einen zweiten Mord, dessen Opfer aber in keinerlei Zusammenhang zur OK steht. Hat Amandeep etwas gesehen, was sie nicht sehen sollte, war das Studium im Edinburgh eher eine Flucht? Ein schottischer-Ex-Polizist, den Singh einmal bei einer Interpol-Tagung kennenlernte, glaubt an eine Verbindung zu einem einheimischen Gangsterboss, hinter dem er viele Jahre vergeblich her war.Eine Spur Oslo-Edinburg? Wie gesagt, in diesem Fall gibt es eine Reihe von Wendungen und Ermittlungsansätze, die in beiden Städten die Ermittler auf Trab halten. Naess schafft es, beiden Teams zu folgen, ohne auszuufern, vernachlässigt auch die persönlichen Aspekte nicht und sorgt buchstäblich bis zur letzten Seite für Spannung. Ich kannte den Autor bisher nicht, werde jetzt aber auf jeden Fall nach anderen Büchern Ausschau halten.